Tochter des Glücks - Roman
erreichen seine Tür zuerst. Als er mich in sein Zimmer zieht, leiste ich keinen Widerstand. Ich rede mir ein, der mao tai hätte mich unvorsichtig gemacht, und ich würde gleich wieder gehen. Doch schon liege ich in seinen Armen, wir küssen uns, zerren an unserer Kleidung herum und schieben einander auf das Bett zu.
Ich weiß, ich weiß. Eine Witwe sollte nie wieder mit einem Mann mitgehen. Man erwartet von ihr, dass sie den Rest ihres Lebens in Keuschheit verbringt. Aber ich habe in meinem Leben zwei Männer geliebt – Sam und Z. G. Die Liebe, die ich für Sam empfand, gründete auf Dankbarkeit, Vertrauen und Respekt. Meine Liebe zu Z. G. begann schon, als ich noch ein junges Mädchen war. Er war die große Liebe meines Lebens – die große Leidenschaft meines Lebens. May bezeichnete es als Vernarrtheit, und vielleicht hatte sie recht damit. Doch nun bin ich hier, und Z. G. ist hier, wir sind ein bisschen mehr als beschwipst und sehnen uns beide nach den Menschen, die wir wirklich lieben. Und ganz ehrlich gesagt, fühlen sich Männer von Frauen angezogen, die verrückt nach ihnen sind, so wie ich es in der Vergangenheit nach Z. G. war. Plötzlich ist alles so einfach – das Hotelzimmer, keine Abwehrmechanismen wegen des Alkohols, die Gelegenheit. Keiner kennt uns hier. Niemand wird es je erfahren. Außerdem, wäre es nicht seltsam, wenn es nicht passieren würde? Trotzdem haben wir noch so viel Verstand, Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen.
»Ich möchte nicht, dass du schwanger wirst«, sagt Z. G.
»Ich kann nicht schwanger werden«, antworte ich. Glücklicherweise fragt er nicht nach dem Grund.
Er denkt noch daran, aufzustehen und ein Handtuch aus dem Badezimmer zu holen. Das gibt mir einen Augenblick, um zu überlegen: Was tue ich da ? Dann sehe ich ihm zu, wie er zurück zum Bett kommt. Er ist nackt und, ja, bereit. Eine anständige Frau würde wegschauen, aber ich starre ihn an, starre alles an. Er hat einen schönen Körper. Er schiebt das Handtuch unter mich, auf die Matratze, damit wir keine Flecken auf dem Bettlaken hinterlassen, was die Zimmermädchen womöglich der Etagenaufsicht melden könnten, die es wiederum an Höherstehende weitergeben könnte. Und dann … Und dann …
Er weiß genau, wo er mich berühren muss. Er sagt: »Ich kenne deinen Körper genau, weil ich ihn so oft gemalt habe.« Ich fühle mich sicher und vergesse zum ersten Mal, was mir bei der Vergewaltigung zugestoßen ist. Ich habe nicht das Gefühl, eine Pflicht erfüllen oder Dankbarkeit zeigen zu müssen, wie so oft bei Sam, obwohl er die Freundlichkeit in Person war. Ich will nicht behaupten, da unten sei alles perfekt, aber ich spüre etwas, das ich noch nie zuvor empfunden habe.
Als wir danach nackt nebeneinanderliegen, berührt Z. G. den kleinen Beutel, den ich um den Hals trage.
»Joy trägt auch so etwas«, sagt er. »Was ist das?«
»Meine Mutter hat einen May und einen mir geschenkt.« Als ich die Worte ausspreche, spüre ich, wie mir die Verbindung zu Z. G. entschlüpft. »May hat ihren Beutel Joy geschenkt, als sie geboren wurde.«
Ich setze mich auf und ziehe mir das Laken über die Brust. Plötzlich bin ich schüchtern und schäme mich. Ich liebe meine Schwester, und was ich gerade getan habe, war vielleicht nicht das Schlimmste auf der Welt, aber auch nicht besonders toll.
»Wir müssen an May denken«, sage ich.
»Stimmt.« Er klingt plötzlich viel nüchterner.
»Du hast lange ohne May gelebt, aber ich bin sicherlich nicht die einzige andere Frau, die du in deinem Leben hattest.« Warum sage ich das? Damit ich mich weniger schuldig fühle?
»Ich bin ein Mann, und es ist mehr als zwanzig Jahre her«, sagt er.
Ich nehme das schweigend auf.
Dann fragt er: »Hast du von Ku Hung-ming gehört? Er lebte am Ende der Ch’ing-Dynastie. Von ihm stammt der Ausspruch: ›Ein Mann ist wie geschaffen für vier Frauen, so wie eine Teekanne für vier Tassen Tee.‹« Er lacht verlegen. »Ich fand immer, wenn diese Philosophie gut genug für den Vorsitzenden Mao ist, dann ist sie auch gut genug für mich.«
»Das war sie aber nicht. Du liebst May.« Nach all diesen Jahren scheine ich endlich meinen Frieden damit geschlossen zu haben.
»Pearl …«
»Du musst dich für nichts entschuldigen.« Ich lege ihm die Hand auf den Arm. »Du wirst nie begreifen, wie viel mir das« – ich zeige auf die zerwühlten Bettlaken – »bedeutet hat, aber es darf nie wieder dazu kommen.«
Als ich aus dem Bett aufstehe, nehme ich
Weitere Kostenlose Bücher