Tochter des Glücks - Roman
Hühnerfedern. Seit Monaten hat keiner von uns ein Ei gesehen, ganz zu schweigen von einem Bissen Hühnerfleisch, aber dem Brigadeführer wurden eigens lebende Hühner gebracht, die für seine Mahlzeiten geschlachtet wurden. Ich nehme ein paar Federn und stecke sie sorgfältig ganz unten in meinen Stoffumschlag. Ich glaube nicht, dass meine Mutter wissen wird, was sie bedeuten, aber ich hoffe, sie fragt jemanden. Dann gehe ich zur Vorderseite des Gebäudes, klopfe an und bitte darum, den Brigadeführer sprechen zu dürfen. Im Gang riecht es nach gekochtem Essen, als ich zu seinem Büro geführt werde. Brigadeführer Lai ist der Einzige in der gesamten Volkskommune Löwenzahn Nummer acht, der nicht abgenommen hat. Auf seinem Schreibtisch liegt deutlich sichtbar eine Pistole. Die Leute sind zu schwach zum Rebellieren, liegt sie also da, um den bettelnden Menschen seine Überlegenheit zu demonstrieren?
»Genossin«, sagt er, »was kann ich für dich tun?«
Ich erhebe die Stimme, damit meine volle Begeisterung für den Großen Sprung nach vorn durchklingt (er soll nicht etwa glauben, ich wollte ihn verführen!). »Meine Mutter und mein Vater müssen das Wandbild sehen, das unsere Kommune gemalt hat.«
»Du möchtest sie hierher einladen?« Sein Gesichtsausdruck sagt mir, dass ich mir das gleich aus dem Kopf schlagen kann.
»Ich lade sie nicht ein, hierher zurückzukehren.« (Aber, o Gott, bitte mach, dass sie verstehen, wie dringend sie herkommen müssen.) »Ich möchte, dass mein Vater unser Wandbild den Obrigkeiten der Künstlervereinigung zeigt. Ich bin mir sicher, diese Organisation, die wichtigste für Künstler im ganzen Land, wird in Tao einen vorbildlichen Genossen erkennen …«
»Das möchtest du trotz allem, was er und seine Familie gerade getan haben?«
»Bitte lass mich ausreden. Ich möchte, dass die Künstlervereinigung die Volkskommune Löwenzahn Nummer acht als Modellkommune anerkennt. Und sie muss natürlich auch unserem weitsichtigen Brigadeführer Anerkennung zollen«, füge ich ehrerbietig hinzu. »Ohne deine Führung hätten wir das Wandbild nie schaffen können.«
Er klopft mit einem Fingernagel auf seinen Schreibtisch und überlegt. Dann sagt er genau das, womit ich gerechnet habe.
»Dein Mann hat gesagt, der Inhalt des Wandbilds sei schwarz.«
»Das hat er nur gesagt, weil er böse auf mich war. Mit meiner Bitte um Scheidung habe ich ihn blamiert. Aber wenn ich ihm jetzt helfe, als vorbildlicher Künstler anerkannt zu werden, wird er mir verzeihen, so wie auch wir beide ihm verzeihen sollten. Er hat fast seine gesamte Familie verloren. Nur noch das Baby und ich sind übrig. Außerdem wird dir deine Milde zu großer Ehre gereichen. Du siehst doch selbst, dass das Wandbild sehr patriotisch ist. Hast du nicht die Raumschiffe gesehen, die gewaltigen Rettiche, die … Du wirst viel Beifall bekommen!«
Dem Brigadeführer gefallen meine Ausführungen, vor allem weil er so viel dadurch gewinnen kann. Trotzdem will er auf keinen Fall, dass jemand von außerhalb in die Volkskommune Löwenzahn Nummer acht kommt. Er täuscht Gleichgültigkeit vor, obwohl es ziemlich offensichtlich ist, was er will.
»Du hast gesagt, du möchtest, dass dein Vater das Wandbild sieht. Wie soll das gehen, wenn er nicht persönlich kommt?«
Ich hole die Kamera meiner Mutter hervor. »Wenn du mir dabei hilfst, ein paar Fotos zu machen, schicke ich den Film nach Shanghai. Noch einmal: Alles Lob gebührt dir und der Kommune. Es wird viele Ehrungen gaben. Niemand wird hierherkommen, aber die Massen werden deinen Namen über Lautsprecher in Häusern und Kommunen im ganzen Land hören.« Ich mache eine Pause, damit er sich dieses Bild vorstellen kann. »Wie du weißt, braucht man dafür nur Beziehungen, und mein Vater …«
»Hat gute guan-hsi «, beendet er den Satz für mich. Er schiebt seinen Stuhl vom Schreibtisch weg. »Komm. Erledigen wir es sofort.«
Wir gehen nach draußen. Ich mache ein paar Aufnahmen, um Brigadeführer Lai zu zeigen, wie er mit der Kamera umgehen muss.
»Du kannst das allein. Du brauchst meine Hilfe nicht«, sagt er, womit er natürlich recht hat.
»Ich muss auf ein paar Bildern zu sehen sein«, antworte ich. »Woher sollen meine Eltern sonst wissen, dass das Wandbild aus unserer Kommune ist? Jeder könnte den Film schicken. Du möchtest doch nicht, dass die falsche Kommune das Lob dafür einheimst?«
»Völlig richtig«, stimmt er mir zu.
Ich mache ein paar Schritte rückwärts und stelle
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