Tochter des Glücks - Roman
die Erlaubnis, mich zu begleiten«, versichert ihm Z. G. Bisher war mir nicht klar, dass ich vielleicht nicht mit Z. G. hätte mitkommen sollen, beziehungsweise dass ich ein Problem für ihn darstellen könnte, und ich bemühe mich, genauso ausdruckslos zu schauen wie er. »Sie möchte ebenfalls das echte Leben beobachten und daraus lernen.«
Der Parteisekretär beäugt mich misstrauisch – ich muss mir wirklich andere Kleidung besorgen –, aber nach einem langen Augenblick wechselt er das Thema und den Ton. Seine Worte scheinen weniger für uns als für die Dorfbewohner gedacht zu sein. »Nach der Befreiung hat unser großer Vorsitzender die Schließung aller Tempel, Schreine und Klöster angeordnet. Wahrsager wurden verbannt oder festgenommen. Volkslieder, Opern und Liebeslieder wurden verboten. Festessen und Feiern sollten nicht mehr stattfinden. Es ist meine Pflicht, dafür zu sorgen, dass diese Regeln eingehalten werden, aber ich richte mich dabei immer nach der Regierung. Wenn man mir sagt, ich soll den Tempel für Dorfversammlungen wieder öffnen, gehorche ich. Wenn es wieder erlaubt ist, Lieder zu singen, dann soll es so sein. Nun wurde mir mitgeteilt, dass wir Kunstunterricht bekommen.« Er winkt in Richtung der Bauern, die dasitzen und warten. »Wir haben unsere Arbeit auf den Feldern geleistet und sind bereit zu lernen.«
Er führt uns weiter in den Tempel hinein, an einer Wand entlang, an der lauter Plakate hängen, die den Zeitablauf im Gründrachendorf von der Befreiung bis jetzt darzustellen scheinen. Das erste zeigt Soldaten der Roten Armee, die Bauern lächelnd dabei helfen, einen gebrochenen Damm zu reparieren. Auf dem nächsten Plakat halten Menschen Zettel in der Hand. Das muss gewesen sein, als das Land umverteilt wurde. Ein weiteres Plakat illustriert das alltägliche Leben: ein Mann mit einem Sack Weizen über der Schulter, ein anderer, der gerade eine Glühbirne einschraubt, ein weiterer, der telefoniert, während zu ihren Füßen pummelige Kinder spielen. Die Parole, die darunter steht, ist direkt: DIE KOLLEKTIVIERUNG MACHT JEDERMANN WOHLHABEND UND ZUFRIEDEN .
»Es ehrt mich, dass einige meiner Arbeiten den Weg in dein Kollektiv gefunden haben, Parteisekretär Feng«, sagt Z. G. »Ich hoffe, sie waren eine Inspiration.«
»Die hast du gemalt?«
»Nicht alle«, antwortet Z. G. bescheiden.
Die Leute, die in der Nähe sitzen, holen bewundernd Luft. Ein paar rufen und klatschen. Es spricht sich schnell herum. Das ist nicht nur irgendein Maler. Dieser Maler hat ihr Leben mitgestaltet.
Z. G. ist nicht schüchtern oder unsicher wie mein Vater. Er steigt ein paar Steinstufen hoch, stellt sich mitten in den Tempel und spricht zu den Dorfbewohnern. Doch kaum hat er angefangen, ruft eine alte Frau in der ersten Reihe: »Und was soll ich tun? Ich weiß, wie man im Sommer Reis und im Herbst Kohl anbaut. Ich weiß, wie man einen Korb flicht und einem Baby den Po abwischt, aber malen kann ich nicht.«
»Ich kann dir beibringen, wie du einen Pinsel hältst und eine Rübe malst, aber du hast etwas in dir, das noch wichtiger ist, um ein gutes Bild entstehen zu lassen«, antwortet Z. G. »Du bist durch und durch rot. Richtig, ich bin hier, um euch zu unterrichten, aber ich möchte auch von euch lernen. Gemeinsam werden wir die rote Gesinnung in unserer Arbeit finden.«
Tao und Kumei helfen mir, Papier, Pinsel und kleine Schälchen mit bereits angerührter Tusche zu verteilen. Dann sagt Z. G., wir sollen uns hinsetzen und uns darauf vorbereiten, zu arbeiten. Ja, er meinte, ich sei seine Gehilfin und wisse vielleicht mehr als die Bauern, aber ich würde mich darauf freuen, mit den anderen zu lernen. Gleichheit und Gemeinschaft, genau davon habe ich gehört, und das hatte ich mir erhofft. Z. G. zeigt uns, wie man einen Bambuszweig malt. Die Aufgabe gefällt mir, denn ich habe das schon oft in der chinesischen Schule in Chinatown gemacht. Ich tauche die Spitze meines Pinsels in die Tusche und lasse die Borsten über das Papier gleiten. Dabei bemühe ich mich um leichte Striche, ohne die Kontrolle zu verlieren. Tao sitzt neben mir und ahmt nach, wie ich meinen Pinsel halte. Mit entschlossenem Blick beugt er sich über sein Papier.
Einen Bambuszweig zu malen, scheint eine einfache Aufgabe zu sein, und die Leute arbeiten schnell. Z. G. wandert durch die Halle und gibt Kommentare ab wie »Zu viel Tusche« oder »Alle Blätter sollten genau gleich aussehen«. Dann kommt er zu Tao und mir. Zuerst sieht er
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