Tochter des Glücks - Roman
Ruck wacht er auf.
»Bringen Sie mich zum Flughafen«, sage ich.
Dort angekommen, gehe ich direkt zum Schalter der Western Airlines, denn sie hatten immer so schöne Werbespots im Fernsehen. Nach Shanghai kann ich nur über Hongkong fliegen. Nach Hongkong komme ich nur von San Francisco aus. Ich kaufe mir ein Ticket für den ersten Abschnitt meiner Reise und buche den ersten Flug des Tages nach San Francisco. Es ist noch frühmorgens, als ich dort lande. Am Schalter von Pan Am erkundige ich mich nach dem Flug 001, der rund um die Welt geht, mit Zwischenlandungen in Honolulu, Tokio und Hongkong. Die Frau in der feschen Uniform sieht mich misstrauisch an, als ich ein einfaches Ticket nach Hongkong bar bezahle, aber nachdem ich ihr meinen Pass gegeben habe, bekomme ich das Ticket.
Bis zum Abflug muss ich noch ein paar Stunden warten. Ich suche eine Telefonzelle und rufe bei Hazel an. Ich habe nicht vor, ihr zu erzählen, wo ich hinfliege. Joe hat mich bereits im Stich gelassen, und ich fürchte, Hazels Reaktion wird noch schlimmer sein. Sie hat mich schon gewarnt, dass Rotchina ein schlimmes Land sei und so – die übliche negative Einstellung, die wir beide von unseren Familien so gut kennen.
Die jüngste der Yee-Schwestern nimmt ab und reicht mich an Hazel weiter.
»Ich möchte mich verabschieden«, sage ich. »Ich verlasse das Land.«
»Wie bitte?«, fragt Hazel.
»Ich muss weg.«
»Du verlässt das Land?«
Ich merke, dass Hazel mir nicht glaubt – denn keine von uns hat bisher weitere Reisen unternommen als Wochenendausflüge nach Big Bear und San Diego mit der Methodistenkirche und den Flug zum College –, aber später wird sie schon kapieren. Doch da werde ich bereits irgendwo über dem Pazifik sein. Dann gibt es kein Zurück mehr.
»Du warst immer eine gute Freundin«, sage ich zu ihr. Mir kommen die Tränen. »Du warst meine beste Freundin. Vergiss mich nicht.«
»Ich vergesse dich nicht.« Nach einer kurzen Pause fragt sie: »Hast du denn Lust, heute Nachmittag zu Bullock’s zu gehen? Ich würde gerne ein paar Sachen für Berkeley kaufen.«
»Du bist die Beste, Haz. Bye.«
Das Klicken des Hörers auf der Gabel klingt endgültig.
Als mein Flug aufgerufen wird, gehe ich an Bord und nehme meinen Platz ein. Ich taste nach dem Stoffbeutelchen, das ich um den Hals trage. Tante May hat es mir letzten Sommer geschenkt, bevor ich nach Chicago ging. Es enthält drei Sesamsamen, drei Mungobohnen und drei Kupfermünzen aus China. »Pearl und ich haben diese kleinen Säckchen von unserer Mutter bekommen, als wir aus Shanghai geflohen sind. Sie sollten uns beschützen«, erzählte sie mir gestern Nacht. »Ich habe dir meines am Tag deiner Geburt geschenkt. Als du noch ein Baby warst, wollte deine Mutter nicht, dass du es trägst, aber ich durfte es dir geben, als du aufs College gegangen bist. Ich freue mich, dass du es im vergangenen Jahr getragen hast.« Meine Tante … Meine Mom … Meine Augen füllen sich mit Tränen, aber ich dränge sie zurück, denn wenn ich anfange zu weinen, kann ich vielleicht nie wieder aufhören.
Doch wie konnte May mich aufgeben? Wie konnte mein leiblicher Vater mich gehen lassen? Und mein Vater Sam? Wusste er, dass ich nicht sein Kind war? May sagte, niemand wusste es sonst. Hätte er es gewusst, hätte er sich nicht umgebracht. Er wäre noch am Leben und könnte mich rauswerfen, weil ich ein respektloser, abscheulicher, arglistiger, Unruhe stiftender Bastard bin. Tja, jetzt bin ich ja draußen. Mom und meine Tante sind mittlerweile wahrscheinlich wach. Bestimmt sprechen sie immer noch nicht miteinander, aber sie werden sich allmählich fragen, wo ich bin. Ich bin froh, nicht dort zu sein und mich entscheiden zu müssen, welche Mutter ich lieben und zu welcher ich halten soll, trotz all ihrer hässlichen Geheimnisse, denn diese Entscheidung ist unmöglich. Schlimmer noch, es wird einen Moment geben, in dem sich alles beruhigt und meine Mom und meine Tante Frieden schließen – und sie werden alles noch einmal ganz genau unter die Lupe nehmen, wie immer –, und dann werden sie zwei und zwei zusammenzählen und daraufkommen, dass ich der wahre Grund für das bin, was mit meinem Vater Sam passiert ist, und nicht Tante May. Wie werden sie wohl reagieren, wenn sie allmählich begreifen, dass ich diejenige bin, an der das FBI interessiert war, dass ich diejenige bin, die Agent Sanders direkt zu uns nach Hause geführt und die ganze Katastrophe verursacht hat? Wenn das passiert,
Weitere Kostenlose Bücher