Tochter des Glücks - Roman
du mitgebracht? Du wirst einer Arbeitseinheit zugeteilt, aber momentan können wir dich nicht einreisen lassen, außer du kannst dich selbst versorgen.«
Ich reiche ihm meinen Geldbeutel. Er nimmt die Hälfte meiner Dollars und steckt sie ein. Ich bin froh, dass ich den größten Teil des Geldes in der Unterwäsche habe. Dann mustert mich der Inspektor genau, besonders mein getupftes Musselinkleid, was vielleicht ein Fehler war, wie mir jetzt klar wird. Ich soll hierbleiben, bis jemand kommt. Als er geht, fürchte ich, dass sich nun wiederholt, was in Hongkong passiert ist, aber wo sollten sie mich diesmal hinschicken? Vielleicht hatten Joe und mein Onkel doch recht. Vielleicht wird mir wirklich etwas Schlimmes zustoßen. Schweiß läuft mir den Rücken hinunter.
Der Inspektor kehrt mit mehreren Männern zurück, die die gleichen tristen grünen Uniformen tragen. Sie lächeln begeistert. Sie nennen mich tong chi . Das bedeutet Genossin , aber gleichzeitig schwingt mit, dass man die gleiche Gesinnung, die gleichen Ziele, die gleichen Ambitionen hat. Ich fühle mich gleich viel besser. Siehst du , sage ich mir, du hättest dir gar keine Sorgen machen müssen. Sie nehmen mich in die Mitte und drängen sich zusammen, damit wir fotografiert werden können, die Erklärung für die Verzögerungen von vorhin. Danach zeigen sie mir eine Wand mit gerahmten Aufnahmen von Leuten, die, wie sie sagen, durch dieses Büro nach China eingereist sind. Hauptsächlich Männer, ein paar Frauen und auch ein paar Familien. Und nicht alle sind Chinesen. Auch Weiße sind darunter. Ich kann nicht sagen, woher sie kommen, allerdings sehen sie ihrer Kleidung nach zu urteilen nicht aus wie Amerikaner. Vielleicht stammen sie aus Polen, Ostdeutschland oder einem anderen Land im Ostblock. Bald wird auch das Bild von mir an der Wand hängen. Wie schön.
Dann fragen mich die Inspektoren, wo ich wohnen werde. Ich weiß nicht recht, was ich antworten soll. Sie bemerken meine Unsicherheit und werfen einander besorgte – argwöhnische – Blicke zu.
»Du musst uns sagen, wo du wohnen wirst, sonst dürfen wir dich hier nicht weglassen«, sagt der Oberinspektor.
Ich lege den Kopf schräg und sehe sie von unten an, was mich unschuldig und hilflos wirken lässt. Diesen Ausdruck habe ich vor Jahren bei Filmaufnahmen von meiner Tante gelernt.
»Ich suche meinen Vater«, vertraue ich ihnen an, in der Hoffnung, ihr Mitleid zu erregen. »Meine Mutter hat China vor meiner Geburt verlassen. Jetzt bin ich dahin zurückgekehrt, wo ich hingehöre.« Bisher habe ich nicht gelogen, doch ich brauche ihre Unterstützung. »Ich möchte bei meinem Vater leben und ihm helfen, das Land aufzubauen, aber meine Mutter wollte mir nicht sagen, wo ich ihn finde. Sie ist zu amerikanisch geworden.« Beim letzten Satz verziehe ich das Gesicht, als wäre es das Verabscheuenswerteste auf Erden.
»Was für eine Art von Arbeiter ist er?«, fragt der Inspektor.
»Er ist Kunstmaler.«
»Aha, gut«, sagt er. »Ein Kulturarbeiter.« Die Männer diskutieren rasch die Möglichkeiten durch. Dann sagt der Chefinspektor: »Geh zum Nationalen Chinesischen Kulturarbeiterverband. Ich glaube, jetzt heißt er nur noch Künstlerverband, Niederlassung Shanghai. Sie betreuen alle Kulturarbeiter. Sie werden genau wissen, wo man ihn finden kann.«
Er schreibt mir den Weg auf, zeichnet eine einfache Karte und erklärt mir, dass ich den Künstlerverband leicht zu Fuß erreichen kann. Die Männer wünschen mir Glück, dann verlasse ich den Abfertigungsbereich, trete hinaus auf den Bund und reihe mich in ein Meer von Menschen ein, die alle aussehen wie ich. Die Chinatown von Los Angeles war eine kleine Enklave, und an der Universität von Chicago gab es nicht viele Chinesen. Hier sind mehr Chinesen, als ich in meinem ganzen Leben gesehen habe. Ein Hochgefühl erfasst mich.
Ich stehe auf einem Fußweg, der beinahe wie ein Park am Fluss entlangführt. Die Straße vor mir ist voll mit Fahrradfahrern. Es ist Mittagszeit, vielleicht machen deshalb gerade alle Pause, aber ich bin nicht sicher. Auf der anderen Straßenseite säumen hohe Gebäude – massiger, prächtiger und breiter als alles, was ich von Los Angeles gewohnt bin – den Bund und folgen der Biegung des Whangpoo. Als ich mich zurück zum Fluss wende, sehe ich chinesische Marineschiffe und Lastkähne jeder Form und Größe. Zahllose Sampans tanzen auf dem Wasser wie eine ganze Schar Wasserläufer. Dschunken mit gesetzten Segeln gleiten
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