Tochter des Glücks - Roman
außerdem war meine Mutter ja auch in Shanghai. Z. G. bestand darauf, dass wir uns einmal die Woche mit ihr trafen. Wie oft haben Mom und Tante May davon geschwärmt, wie groß und elegant ihr Haus war, doch so toll fand ich es nun auch wieder nicht. Groß war es schon, aber schmutzig, und es waren zu viele Leute dort. Und was ist mit Koch und dass er zu meiner Mutter ständig kleines Fräulein sagte? So sollte sich eigentlich niemand mehr ausdrücken, aber ihm war das egal.
Meine Mutter? Sie hat sich nach Kräften bemüht – das weiß ich –, aber ich bin nach China gegangen, um mich von ihr zu lösen. Ich möchte nicht an die Vergangenheit erinnert werden. Ich möchte nicht an meinen Vater Sam denken. Wenn mich meine Mutter mit ihren traurigen Augen ansieht, wenn ich ihre vorwurfsvolle Stimme höre, wenn sie mich zögerlich am Arm berührt, wenn ich sehe, wie sie mich aus dem Schatten heraus beobachtet, will ich so weit wie möglich von ihr weg. Dann bot sich schließlich die Gelegenheit, aus Shanghai herauszukommen, aber nicht so, wie ich gehofft hatte, denn Z. G. bestand darauf, dass wir meine Mutter bitten mitzukommen. Andererseits wollte ich auch, dass sie mitkommt, und zwar umso mehr, je mehr sie sich sperrte. Ich will ihr zeigen, wie falsch sie denkt. Ich will, dass sie den Erfolg des Großen Sprungs nach vorn sieht. Wenn sie merkt, wie glücklich ich im Gründrachendorf bin, lässt sie mich vielleicht gehen – lässt sie mich vielleicht los, wie damals, als ich ans College gegangen bin.
Ich schaue aus dem Fenster, während sich der Bus dem Ausstieg zum Gründrachendorf nähert. Weiter vorne steht eine Gruppe von Menschen, sie halten Reisbündel in den Armen oder heben Willkommensschilder hoch. Aus der Ferne winkt Kumei. Ihr kleiner Junge steht neben ihr. Ta-ming ist im vergangenen Jahr ganz schön gewachsen. Parteisekretär Feng Jin und Sung-ling nehmen aufrechte, würdevolle Posen ein. Da stehen auch noch andere Leute, die ich jedoch nicht kenne. Derjenige, nach dem ich Ausschau halte – Tao –, hat sich vor die Gruppe gestellt, damit ich ihn auch sehe.
Holpernd kommt der Bus zum Stehen. Jemand hilft meiner Mutter beim Aussteigen. Sie bedankt sich, streicht sich das Haar glatt, faltet die Hände und wartet. Unser Gepäck wird ausgeladen. Ich grinse idiotisch. Tao sieht genauso gut aus wie bei meiner Abreise – stark, sonnengebräunt, mit strahlendem Lächeln. Am liebsten würde ich ihm gleich um den Hals fallen, aber das geht natürlich nicht.
Ein mir unbekannter glatzköpfiger Mann tritt vor. »Ich bin Brigadeführer Lai«, sagt er. »Der Bezirk hat mich hierhergeschickt, um die Volkskommune Löwenzahn Nummer acht zu leiten.«
Er ist ein Ein-Füller-Kader, das ist allenfalls mittelmäßig für jemanden, der so um die vierzig zu sein scheint. Andererseits ist er bereits kahlköpfig, was als Zeichen für Weisheit gilt. Alles in allem kann sich die Kommune glücklich schätzen, wenn jemand von seinem Format dafür sorgt, dass die Ziele des Großen Sprungs nach vorn eingehalten werden.
»Kommt«, sagt er. »Wir haben einen Rundgang und ein Essen für euch vorbereitet.«
Er geht voran, und wir folgen ihm. Es ist glühend heiß. Wir haben ein paar Meilen zu gehen. Meine Mutter holt einen Regenschirm hervor, um sich vor der Sonne zu schützen. Die anderen betrachten sie amüsiert. Schließlich kommen wir zu dem Hügel, der die natürliche Grenze zum Gründrachendorf bildet. Mit entschlossener Miene packt meine Mutter ihren Koffer und marschiert energisch weiter. Als wir oben am Hügel sind, breitet sich das Gründrachendorf unter uns aus. Am Wegrand steht ein neues Schild.
WILLKOMMEN IM GRÜNDRACHENDORF
MITGLIED DER VOLKSKOMMUNE LÖWENZAHN NUMMER ACHT
1. PFLANZT MEHR .
2. PRODUZIERT MEHR .
3. ABHÄNGIG VON DER KÖRPERLICHEN VERFASSUNG UND DEM GESUNDHEITSZUSTAND WERDEN ARBEITSPUNKTE VERGEBEN .
4. PRIVATES HANDWERK UND PRIVATUNTERNEHMEN SIND VERBOTEN .
5. DREI MAHLZEITEN AM TAG SIND KOSTENLOS .
Brigadeführer Lai spult alle Veränderungen herunter, die während des vergangenen Jahres im Gründrachendorf vonstatten gegangen sind. »Ein Stromgenerator versorgt Lautsprecher, die in den Bäumen hängen«, sagt er, »und in jedem Haus in allen dreizehn Dörfern der Volkskommune Löwenzahn Nummer acht. Unsere Kommune ist klein, wir haben nur etwas mehr als viertausend Mitglieder. In der Führungshalle habe ich ein Telefon.«
»Ich habe das Telefon nicht nur gesehen«, prahlt Kumei, »sondern auch
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