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Tochter des Glücks - Roman

Tochter des Glücks - Roman

Titel: Tochter des Glücks - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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ich, denn ich würde das auch tun. (Und wenn ich ehrlich bin, wird sie recht haben. Eine solche Gelegenheit, mit ihm zusammen zu sein, hatte ich nie. Ja, Joy wird auch dabei sein, aber wer weiß, was passieren könnte … Ich sollte nicht voreilig sein.) May hatte immer schon nah am Wasser gebaut. Diesmal werden die Tränen aus einer alten, dick vernarbten Wunde kommen. Ihre ältere Schwester hat sich gerächt. Kein Stich ins Herz tut mehr weh als von jemandem, der behauptet, er liebt einen am allermeisten. Ich weiß das, denn meine Schwester hat mir dieses Messer oft ins Herz gestoßen.
    Es tut mir leid, dass ich Dir nicht vorher von Z. G. erzählt habe. Verzeih mir. Es ist nichts passiert. Ich bin immer noch einfach Deine jie jie , und ich wünschte, ich hätte etwas, was Dir gehört, das ich aber nie haben konnte und sicherlich nicht verdient habe. Ich werde Dir aus dem Gründrachendorf schreiben, das ist unsere erste Station, aber ich weiß nicht, wie gut die Post von dort aus funktioniert. Ich liebe Dich sehr, May. Vergiss das nie.

J OY
    Ein kleiner Rettich
    E in Bus bringt uns von Tun-hsi zum Ausstieg für das Gründrachendorf. Körbe voller Feldfrüchte und Töpfe mit gekochten Speisen wurden an den Straßenrand gestellt, um kundzutun, dass der Große Sprung nach vorn ertragreich war und die Nahrung an alle verschenkt werden kann, die vorbeikommen. Esst! Wir haben genug! Ich sehe auch viele kleine Kinder – ein weiteres Geschenk des Vorsitzenden Mao. Bekommt Kinder! Zeugt mehr Kinder!
    Z. G. und meine Mutter sitzen zusammen auf einer Bank auf der anderen Seite des Gangs. Meine Mutter sitzt angespannt und zusammengekrümmt da, als schützte sie das vor den anderen Passagieren, den Hühnern und Enten, den Gerüchen und dem Zigarettenrauch. Immer wieder spielt sie an dem kleinen Lederbeutelchen herum, das sie am Hals hängen hat. Es ist identisch mit dem, das mir Tante May geschenkt hat, bevor ich ans College ging, und das ich trug, als ich nach China kam. Ich wünschte, meine Mutter hörte auf, dauernd daran herumzufummeln und sich aufzuführen, als wäre das Ende nah. Ich lasse mir mein Glück nicht von ihr verderben, denn …
    … wir kehren ins Gründrachendorf zurück, und ich sehe Tao wieder!
    Shanghai war ganz anders, als es meine Mutter und meine Tante beschrieben haben, aber der Lebendigkeit dort kann man kaum widerstehen. Z. G.s Haus war wunderbar. Ich mochte seine drei Dienstmädchen, auch wenn sie mich manchmal seltsam ansahen und untereinander über Dinge gestritten haben, die ich nicht mitbekam. Aber abgesehen von diesem kleinen Ärgernis – das ich, wie Z. G. meinte, einfach herunterschlucken soll, denn Dienstmädchen kann man nun einmal nicht am Schwatzen hindern – war das Leben dort gut, besser als alles, was ich in Chinatown erlebt hatte.
    Mein Vater ist sehr wichtig. Seine Position – in Kombination mit ein paar an den richtigen Mann gebrachten Schachteln Zigaretten – hat dafür gesorgt, dass ich ganz vorne in die Warteschlange der Arztpraxis durfte, als ich im Frühjahr Halsschmerzen hatte, und dass wir die besten Tische bei Banketten bekamen. Ich hörte vertraute Lieder von Jazzbands: »You Are My Sunshine«, »My Old Kentucky Home« und »My Darling Clementine«. Ja, sonderlich kommunistisch oder sozialistisch hört sich das nicht an. Und es stimmt, alles, was ich gemacht habe, seit Z. G. und ich vor Monaten aus dem Gründrachendorf abgereist sind, stellt einen Verrat an meinen Idealen dar. Aber um China zu helfen, musste ich mehr darüber erfahren. Die Mahlzeiten – ob sie zu Hause von Z. G.s Dienstmädchen zubereitet oder bei einem Bankett serviert wurden – waren köstlich. In Shanghai isst man gerne süß. Meine Mutter mochte immer gerne Zucker und hat ihn auf die verrücktesten Sachen gestreut, zum Beispiel auf in Scheiben geschnittene Tomaten. Jetzt ist mir klar, wo sie das herhat. Selbst bei den schicksten Festessen gibt es immer einen Teller Pommes frites, die mit feinem weißem Zucker bestäubt wurden. Es gab so vieles zu schmecken, zu sehen und zu lernen. Es hat Spaß gemacht.
    Nur an der Tatsache, dass Shanghai früher das Zuhause meiner Mutter und meiner Tante war, konnte ich nicht vorbei. Ich möchte nicht sie sein, nicht wie sie sein und nicht an sie erinnert werden, und trotzdem kam ich um all das nicht herum. Allein schon Z. G.s Bitte an mich, die Kleider von seinem Dachboden zu tragen. Sie waren natürlich schön und so, aber das Ganze war trotzdem unheimlich. Und

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