Tochter des Glücks - Roman
kein Gemüse, stehen keine Gläser oder Eingemachtes. Stattdessen sind dort Kochutensilien oder andere metallene Gegenstände fein säuberlich der Größe nach aufgereiht.
Ich stelle Yong meiner Mutter vor – zumindest versuche ich es, denn ich muss gegen das Getöse aus dem Lautsprecher anreden, der an einem Dachbalken hängt. Meine Mutter betrachtet Yongs gebundene Füße und sieht ihr dann ins Gesicht.
»Es ist mir eine Ehre«, sagt meine Mom.
»Es ist lange her, seit ich zuletzt einer richtigen Dame aus Shanghai begegnet bin«, antwortet Yong.
»Kennst du die Stadt?«, fragt meine Mutter.
»Ich wurde dort geboren«, antwortet Yong und wechselt in den Wu-Dialekt. Kumei und ich werfen uns einen Blick zu. Yong hat bisher nie im Wu-Dialekt mit mir gesprochen. Ich frage mich, ob sie mit Z. G. in der Sprache ihrer gemeinsamen Stadt gesprochen hat, wenn ich nicht dabei war.
Meine Mutter und Yong haben den gleichen Gesichtsausdruck. Wie sind wir bloß hier gelandet?
»Bringt eure Beile«, trompetet es weiterhin aus dem Lautsprecher. »Bringt eure Türangeln. Bringt eure Scheren.«
»Wir müssen uns beeilen«, sagt Kumei. Sie zeigt auf die Gegenstände auf dem Tisch. »Du kannst den Wok nehmen, wenn du möchtest.«
»Für den Hochofen?«, fragt meine Mutter.
Kumei nickt.
»Einen Wok? Braucht ihr den nicht?«
»Es ist unser letzter«, antwortet Kumei. »Die anderen mussten wir der Kantine geben.«
»Womit wollt ihr dann kochen?«, fragt meine Mutter erschrocken.
»Wir bekommen alle Mahlzeiten in der Kantine.«
»Das ist aber weit weg von hier.« Meine Mutter deutet auf Yongs Füße. »Wie kannst du dort zum Essen hingehen?«
»Kumei und der Junge dürfen mir das Essen mitbringen«, antwortet Yong.
»Kommt schon«, drängt Kumei. »Nehmt etwas. Wir müssen los.«
Ich nehme eine Suppenkelle. Die anderen nehmen die kleinstmöglichen Gegenstände – einen Löffel im westlichen Stil, ein Metallkörbchen, mit dem man Kleingeschnittenes aus dem Feuertopf fischt, Haarnadeln. Mit unseren Spenden in der Hand versammeln wir uns am Dorfplatz. Jeder hat etwas Metallenes dabei – ein altes landwirtschaftliches Werkzeug, die Klinge eines Beils, ein paar Nägel und weitere Küchenutensilien. Wir reichen unsere Sachen einer Frau, die sie an jemanden weitergibt, der sie in den Hochofen steckt.
»Das erinnert mich an die Zeit während des Krieges, als wir Alufolie, Speckfett und Gummibänder sammeln sollten«, sage ich zu meiner Mom. »Es hat Spaß gemacht, das alles zu sammeln, weißt du noch? Das hat uns geholfen, den Krieg zu gewinnen.«
Meine Mutter starrt in die Ferne. Ich merke ihr an, dass sie noch Kopfschmerzen hat, aber was sie denkt, bleibt ein Geheimnis. Dann zieht sie die Schultern nach hinten, tritt vor und sagt zu der Frau, die das Metall einsammelt: »In Shanghai habe ich den Blasebalg für den Hochofen bei mir in der Straße bedient. Darf ich hier mithelfen?«
»Alle arbeiten, damit alle zu essen haben«, antwortet die Frau. »Deine Hilfe ist gerne gesehen, Genossin.«
In dem Moment ziehen ein paar Leute rote Fahnen hervor und halten sie hoch. Die Dorfbewohner reihen sich systematisch hinter den Fahnenträger ein. Erneut kommt Militärmusik aus den Lautsprechern. Tao zupft mich am Saum meiner Bluse – er achtet darauf, in der Öffentlichkeit meine Haut nicht zu berühren – und zieht mich in die Reihe, die von Z. G. angeführt wird. Dann marschieren alle bis auf diejenigen, die am Hochofen arbeiten, hinter den roten Fahnen her und strömen wie Ameisen in unterschiedliche Richtungen.
Unsere Gruppe ist unterwegs zum Zentrum der Kommune. Wir bleiben vor der Führungshalle stehen, in der wir gestern zu Mittag gegessen haben. Unser Projekt ist einfach und dennoch ehrgeizig. Wir haben eine Woche Zeit, um 7000 Plakate herzustellen. Auch wenn es einfach und schnell geht, Plakate zu drucken, möchte Mao der Welt zeigen, was die Kommunen zustande bringen, wenn die Menschen ihre Hände benutzen, um gemeinsam am Großen Sprung nach vorn zu arbeiten. Die Darstellung wurde von der Künstlervereinigung gebilligt. Das Bild zeigt die Massen bei der Ernte. Rechts und links am Rand stehen auf jedem Plakat die gleichen Zweizeiler. Auf einer Seite heißt es: »Je länger es die Kommunen gibt, desto wohlhabender werden sie.« Auf der anderen Seite steht: »Je höher die Sonne steigt, desto heller wird sie scheinen.« In der Kommune leben zwar viertausend Menschen, aber nicht alle können bei unserem Projekt mitmachen.
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