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Tod am Zollhaus

Tod am Zollhaus

Titel: Tod am Zollhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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das Steintor zu.
    Es nieselte, und die Komödianten froren. Ihre Kleider waren nass, sie dachten an nichts als eine warme Stube und einen Teller dampfender Suppe. Nur Rosina summte leise und vergnügt ein Trinklied. Sie war nicht sicher, ob die große Stadt sie ängstigte oder freute, aber eines spürte sie genau: Das ständige Gewimmel von Menschen vieler Nationen, der nicht endende Wagenlärm und das Geschrei in den Gassen, die zahllosen Schenken und Kaffeehäuser, die Märkte und Geschäfte, die alles feilboten, was eine Frau sich wünschte, machten sie hellwach. Das letzte Stück Weg bis zum Tor war für sie so erregend wie das dramatische Finale eines guten Schauspiels.
    Trotz der nassen Kälte begann das Gedränge schon vor dem Tor. Wagen um Wagen reihte sich auf der Straße, zwei nervöse Rappen zogen im eiligen Trab eine reich beschlagene Kutsche an den hochbeladenen Fuhrwerken vorbei. Ein Bauer und sein Kind waren mit fünf Schweinen und einer ganzen Schar Gänse unterwegs zum Markt am Dom oder zum Schlachthaus an der Heiliggeistbrücke. Am Ende der Allee ließ ein Bärenführer sein zottiges Tier unter dem Johlen der Menge tanzen, und überall streckten Bettelkinder ihre mageren, schmutzigen Hände aus.
    Die Torwachen zeigten heute wenig Lust, die tropfende Ladung der drei Wagen zu kontrollieren. Wenn sie gewusst hätten, dass unter den schweren Planen aus dickem Ölpapier keine Säcke mit Roggen, Salz oder fettiger Wolle von der Frühjahrsschur verborgen waren, sondern Körbe voller bunter Kostüme und Kisten mit seltsamen Geräten, hätten sie die Wagen vielleicht gar nicht erst in die Stadt gelassen. Fahrende Komödianten waren in diesen Tagen in Hamburg nicht erwünscht.
    So aber rollten die Wagen bald zwischen den wuchtigen Rundtürmen des Steintores hindurch, über das holperige Pflaster der Steinstraße, weiter an St. Jacobi und St. Petri vorbei bis zur Binnenalster. Sie kamen nur langsam voran, ganz Hamburg schien auf den Beinen zu sein und drängte sich in den Straßen mit den hochgiebeligen Häusern. Am Pranger vor der Fronerei stand mit hängendem Kopf eine traurige Gestalt, durchnässt und schmutzig, niemand beachtete sie. Rosina auf dem ersten Wagen trieb mit aufmunterndem Schnalzen die Pferde an. Endlich bogen die Komödiantenwagen vom Jungfernstieg links in die Hohen Bleichen. Wo einst Leinwand und Kattun gebleicht wurden, hatte sich die Reihe der Fachwerkhäuser längst geschlossen. Trotz des Regens drängten sich auch hier Karren und Wagen, Mägde und Damen, Männer in fadenscheinigen Joppen wie in besten Tuchen zwischen Reitern und allerlei kleinem Hausgetier durch die engen, schmutzigen Gassen.
    Endlich erreichten die drei Wagen die Fuhlentwiete und verschwanden durch eine enge Einfahrt in einem Hof nahe der Schenke Zum Bremer Schlüssel.
    Rosina und Helena sprangen vom Kutschbock. Helena, Anfang dreißig, eine füllige Venus mit schmaler Taille, heller Haut und dunklen Augen, war auf der Bühne erste Heroine, mit ihrer stolzen Statur und der würdigen Haltung gerade richtig für Königinnen, Musen und tragische Heldinnen jeder Art.
    Rosina, um ein knappes Jahrzehnt jünger und energischer, spielte ganz nach Bedarf die innigste Liebhaberin oder den frechsten Jüngling. Im Ballett war sie die Primaballerina, und auch ihr Gesang ließ die Herzen schmelzen. Doch unter ihren regenschweren Umhängen sahen beide aus wie einfache Frauen auf dem Weg zum Markt. Rosina hatte ihr dickes blondes Haar für die Reise auf den Landstraßen zu einem praktischen Zopf gebunden, und Helenas kastanienbraune Locken steckten unter einer schwarzen Haube aus gewalkter Wolle.
    Die beiden Frauen sahen sich um. Keine Tür flog auf, niemand kam aus dem Haus, um die Ankömmlinge zu begrüßen.
    «Was für ein kalter Empfang», sagte Helena und rieb sich die von Regen und Wind roten Hände. «Warum ist niemand hier? Wo mag Jean sein?»
    «Im Wirtshaus», antwortete Rosina lachend, schüttelte die Nässe von ihrem schweren Schultertuch und schlug die Plane des Wagens zurück. «Aussteigen», rief sie, «wir sind da.»
    Muto, den der Regen von Sebastians Seite unter die Plane getrieben hatte, steckte den Kopf heraus, sah sich verschlafen um und ärgerte sich. Er war noch nie in einer so großen Stadt gewesen. Nun hatte er die Einfahrt durch das Tor und durch die Straßen verschlafen. Aber das konnte er niemandem sagen.
    Titus, der dicke Mann mit den struppigen gelben Haaren, stieg ächzend von seinem Wagen und streckte

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