Tod am Zollhaus
die steifen Glieder. «Hallo, Leute», rief er, «wo seid ihr alle? Die Komödianten sind da.» Er machte einen eleganten Kratzfuß und einen kleinen, etwas müden Luftsprung und sah sich um. «Tatsächlich. Keiner da. Wo ist Jean?»
Nach und nach kletterten auch die anderen von den Wagen. Titus war ein Spaßmacher auf der Bühne und im Leben. Er war schon so lange Hanswurst, dass er nicht mehr genau wusste, wer er eigentlich selber war. Nur so hält man’s aus, immer diesen bösen Trampel zu spielen, sagte er oft. Vielleicht hatte er damit recht.
Rudolf kümmerte sich nicht um den kalten Empfang. Er rief nach seinem Sohn, und gemeinsam krochen sie unter die Plane auf dem zweiten Wagen. Rudolf war stets in Sorge um seine Farbtöpfe und Werkzeuge, um die Kulissen und die Winden und Seilzüge für das Flugwerk.
«Sind die Körbe mit den Kostümen trocken geblieben?»
Gesine, stets in Sorge um alles, steckte den Kopf unter die Plane. Die Kostüme waren ihre Leidenschaft. Sie zauberte noch aus den abgewetztesten Lumpen eine königliche Robe, mit ein wenig Spitze, Flitter und einem Fetzen Samt einen Kopfputz, der an jedem Fürstenhof Aufsehen erregt hätte.
Nun rollte der letzte Wagen in den Hof. Der Trubel in den engen Gassen hatte die junge Stute nervös gemacht. Sebastian führte sie mit besänftigendem Gemurmel behutsam in die letzte, enge Lücke. Er war ein hagerer, hochgewachsener Mann, fast ein Junge noch, aber mit kräftigen Armen, die jedes Pferd bändigten und beim Aufbau der Bretterbühne zwei Arbeiter ersetzten. Er war erst seit dem letzten Frühjahr bei der Gesellschaft. Niemand wusste genau, woher und warum er gekommen war. Er war Student gewesen. Wahrscheinlich war seinen Eltern das Geld für die Universität ausgegangen, und er hatte keine Lust, in irgendeiner Schreibstube zu verstauben.
Aber das war nur seine Sache. Wenn einer nur schön deklamieren konnte, die Pfeife oder die Trompete blasen, ein wenig singen und weder Wetter noch harte Arbeit scheute, war er hier gut zu brauchen.
Sebastian konnte nicht gut deklamieren, auch der jugendliche Liebhaber, den er auf der Bühne zu geben hatte, gelang ihm nur wenig schmelzend und galant, aber er war der beste Akrobat, den die Becker’sche Truppe je gehabt hatte. Er lief auf den Händen wie andere kaum auf den Füßen, und seine Sprünge waren hoch und weit wie die einer großen Katze.
«Sieh nach, ob im Stall frisches Stroh für die Pferde ist, Muto», rief er dem Jungen zu, der aufgeregt jede Ecke des Hofes inspizierte. Der Junge nickte heftig, nahm den Hut von seinem roten Haarschopf und schob sich flink durch die knarrende Stalltür.
Lies steckte den grauen Kopf unter der Plane des dritten Wagens hervor und sah sich missmutig um. Sie hatte heute einen grämlichen Tag, da halfen ihr selbst die eigenen Heilkünste nicht. Lies kannte alle Kräuter und Tränke, die ein Mensch in den Fährnissen des Lebens brauchen kann. Sie wusste Mittel gegen Husten und Kinderlosigkeit oder zu viel Fruchtbarkeit, gegen Furunkel, Schlagfluss, entzündete Augen oder Wassersucht. Es hieß auch, sie könne zaubern, wenn es unbedingt nötig sei. Vor allem in Liebesdingen. Aber das hatte noch niemand in der Becker’schen Gesellschaft erlebt. Lies war klug. In den deutschen Ländern brannte immer noch ab und zu eine Hexe.
Da standen sie nun im Hof, strichen die zerdrückten, feuchten Kleider glatt und sahen sich erwartungsvoll um. Sebastian begann gerade die Pferde abzuschirren, als im ersten Stock des Hauses ein Fenster aufflog. Eine dicke Frau zwängte ihren Kopf, der mit einer mächtigen weißen Haube geschmückt war, durch die enge Öffnung.
«Ah, Frau Helena», rief sie, «da seid ihr ja. Fangt gar nicht erst an, die Wagen abzuladen. Hier könnt ihr nicht bleiben. Diesmal ist nichts mit Komödiespielen.»
Helena und Rosina sahen sich verblüfft an.
«Die Majestät ist mal wieder schlecht gestimmt», knurrte Titus, «ganz furchtbar schlecht gestimmt sogar.»
«Sei doch still», zischte Rosina, «wir brauchen sie. Einen schönen guten Tag, Frau Krögerin», rief sie zu der weißen Haube gewandt, «immer zu Scherzen aufgelegt? Warum …»
Aber da war das Fenster schon mit einem lauten Knall zugeklappt.
«Hier stimmt was nicht», sagte Rosina, raffte ihre nassen Röcke, sprang mit großen Schritten über die Pfützen des schlammigen Hofs und pochte heftig an die Tür.
Es dauerte eine ganze Weile und kostete viel Schmeichelei, bis die Krögerin doch ihre Tür
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