Tod auf der Koppel
1
»Da ist sie ja!« sagte Sara und trat aufs Bremspedal. Sie saß allein am Steuer ihres Wagens. Normalerweise sprach sie nicht mit sich selbst; aber das Bild der braunen Stute, die sich gegen den abendlichen Himmel abhob, hatte sie wie elektrisiert.
Wer zufällig diese Szene beobachtet hätte, hätte sich über Saras Aufregung gewundert. Auf den ersten Blick gab es an Fatal Lady nichts Besonderes zu entdecken. »Eine völlig unbekannte braune Stute, ohne besondere Kennzeichen«, hatte der Kommentator überrascht festgestellt, als sie ihr erstes Rennen gewonnen hatte. Dieser erste Sieg hatte eine ganze Serie von Triumphen eingeleitet, doch seit etwa einem Jahr war Fatal Lady bei keinem Rennen mehr angetreten.
Keiner verstand, weshalb Jock Hawkins, der doch sonst so habgierig war, sie nicht mehr auf den Rennplatz schickte. »Ich will sie nicht zu Tode hetzen. Sie hat Ruhe verdient, und die soll sie nun auch haben« — das war die einzige Erklärung, die man aus ihm herauslocken konnte. Dabei klang seine Stimme ganz ruhig; aber die Liebe zu seinem Pferd leuchtete ihm aus den Augen.
»Seitdem seine Frau tot ist, ist Fatal Lady das einzige lebende Wesen, an dem sein Herz hängt«, meinten seine Nachbarn. »Sie hat den Großen Preis von Neuseeland gewonnen und weiß Gott was sonst noch für Preise. Es ist ein Jammer, daß er sie nicht mehr zum Start schickt. Aber vielleicht will er eine Zucht mit ihr anfangen.«
Bisher hatte er das freilich noch nicht getan. Er erzählte niemand, was er mit Fatal Lady vorhatte. Er hatte es auch nicht gern, wenn ihr jemand zu nahe kam. Inzwischen ließ es sich die Stute auf Jock Hawkins’ Weiden wohl sein.
»Ein Wunder, daß er sich von ihr loszureißen vermocht hat, nur um das Rennen um den Melbourne-Cup zu besuchen und sich über die australische Landwirtschaft zu informieren«, sagte sich Sara. Bis jetzt war er übrigens noch nicht zurückgekommen. Sie hatte Dalby Lord davon erzählt, als er sie aufforderte, wegen des Heus für die Pferde zu Jock Hawkins zu fahren.
»Um so besser«, hatte ihr der Trainer geantwortet. »Fragen Sie Albert danach, oder Simon. Simon kann das Geschäft abschließen.«
Sie bog in die Einfahrt zur Schwarzkiefer-Farm ein. »Was für ein Name!« dachte sie kopfschüttelnd. Aber etwas anderes war von Jock Hawkins nicht zu erwarten. Er hatte keinen Funken Phantasie und war überhaupt recht langweilig. Wie war er bloß dazu gekommen, sein Pferd Fatal Lady zu nennen? Der Name paßte hervorragend; wahrscheinlich war Lucy Hawkins, Jocks Frau, darauf verfallen. Man hatte ihr allgemein nachgesagt, daß sie sehr einfallsreich sei und viele Bücher lese.
Sara mußte lächeln, als sie an diese Einschätzung dachte. Sie hätte Lucy gern kennengelernt. Obgleich ihr ihre Arbeit bei Dalby Lord gefiel, vermißte sie doch die Gespräche und die Bücher, die ihre Studentenzeit begleitet hatten. Einzig Simon Hawkins war ein angemessener Umgang für sie, abgesehen von den Middletons, die sie ebenfalls gut leiden konnte. Doch was Simon anging, so hatte sie ihn seit Wochen nicht mehr gesehen.
Es hatte gar keinen Zweck, zum Haus des alten Jock zu fahren, wenn er verreist war. In der Zwischenzeit hatte er die Geschäfte Albert Winter übertragen, der sich um die Schafherden kümmerte, und seinem Neffen Simon. Albert bewohnte ein eigenes Haus, und Simon gehörte die Nachbarfarm, wo er auch lebte. Sie wollte versuchen, zunächst Albert zu treffen; sollte ihr das nicht glücken, wollte sie auf dem Rückweg bei Simon vorbeisehen.
Eigentlich hatte Jock seinen Neffen nicht bitten wollen, sich um seine Angelegenheiten zu kümmern; aber weil er aus einem Grund, den er nicht nennen mochte, Albert mißtraute, war ihm keine andere Wahl geblieben. »Simon kann in den paar Monaten nicht allzu viel falsch machen. Ich habe für alles vorgesorgt«, hatte er einem Nachbarn anvertraut. »Aber ich möchte nicht, daß er bei mir denselben Unfug veranstaltet wie bei sich. Was ist bloß mit dem Kerl los? Die ganze Zeit redet er davon, daß er pausenlos am Experimentieren ist, um ein Mittel gegen die Trommelsucht zu finden. Er gibt dabei mehr aus, als seine Farm einbringt. Mein Motto ist: Man muß arbeiten und aus dem Land herausholen, was es hergibt. Für Experimente ist das Geld zu schade.«
Sein Neffe war ganz anderer Ansicht. Wer das Land nur ausbeutete, wie es so viele Farmer machten, stellte sich in seinen Augen ein Armutszeugnis aus. Ihm ging es vielmehr um das Gemeinwohl, darum,
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