Tod auf der Northumberland: Roman - Ein Fall für John Gowers (German Edition)
wenig belustigt.
Als die Schlinge sich zuzog, zuerst wie ein Lufthauch, ein weiches Gefühl am Hals, ächzte der kleine Mann überrascht. Dann zappelte er heftig, wehrte sich. Aber der Mörder war riesig, oder er stand auf einem Stuhl. Mühelos hob er sein Opfer
hoch, das noch um sich schlug und mit den Beinen strampelte, als es den Boden unter den Füßen verlor. Ein letzter schwacher Hieb traf nur den Hut des Mörders, der auf dem Boden einmal um sich selbst kreiselte und das Letzte war, was die hervorquellenden Augen des Opfers wahrnahmen.
Der Mörder, der das rechte Bein schlurfend nachzog, ging zum rückwärtigen Fenster, öffnete es und blickte hinaus in die Nacht und die enge, unbeleuchtete Gasse weit unten. Er entfernte das Seidentuch, das tief in den Hals des Toten eingeschnitten hatte, und warf den kleinen Ahnenforscher dann vier Stockwerke hinab, mit dem Kopf voran, sodass mit ein wenig Glück Schädel und Hals brechen würden. Anschließend prüfte er fachmännisch den Plan der Cimetière du Père Lachaise und hob anerkennend die Augenbrauen, ehe er ihn zusammenfaltete und einsteckte.
»Gute Arbeit!«, lobte eine belustigte Stimme den kleinen Mann, der es tief unten auf dem Pflaster nicht mehr hören konnte.
5.
»Eine gute und eine schlechte Nachricht«, sagte Gowers. »Die gute: Ihre Tochter lebt und ist gesund. Die schlechte: Sie ist in unangenehme Gesellschaft geraten. Schmutzige Geschäfte …«
Er händigte dem Senator die bewusste Aufnahme aus und sah taktvoll aus dem Fenster, während sein Klient sie aufmerksam betrachtete. Gowers hörte das langsame Ausatmen des beleibten Mannes, dann zu seiner Bestürzung, wie etwas bedächtig zerrissen wurde. Der Investigator drehte sich wieder zu Blandon um, sammelte die Teile der Calotypie im Ascheimer
ein und hielt wortlos ein Zündholz darunter. Langsam löste sich die Schande der Blandons in Rauch auf.
»Wollen Sie die Adresse Ihrer Tochter auf einem gesonderten Blatt?« Noch mehr Entgegenkommen war nicht möglich.
»Das ist nicht meine Tochter, Mr. Gowers. Eine gewisse Ähnlichkeit, ja, aber … Ein Mann in meiner Position kennt solche Menschen nicht.«
Gowers spürte die Bedrohung, die von dieser Antwort ausging. Aber er brauchte auch Geld.
Mit einem verkniffenen Lächeln erhob sich der Senator und sagte: »Da werden Sie wohl weiter nach Caroline suchen müssen.«
Der Investigator warf einen ironischen Seitenblick auf das Häufchen Asche, das von Caroline Blandon übrig geblieben war, und stellte langsam die entscheidende Frage: »Und darf ich mir erlauben, Ihnen meine bisherigen Bemühungen in Rechnung zu stellen, Sir?«
Gordon F. Blandon zog die Augenbrauen hoch, und jeder Wähler im Staat New York hätte seine Miene für die Überraschung eines Ehrenmannes angesichts einer unzumutbaren, einer fast kriminellen Forderung gehalten. Voller Enttäuschung über die Schlechtigkeit der Welt stellte er fest: »Sie werden für Ihren Erfolg bezahlt, Mr. Gowers. Ich kann es mir nicht leisten, für Misserfolge auch noch gutes Geld hinzulegen.«
Blandon ließ offen, ob er damit das Ergebnis von Gowers’ Ermittlungen oder aber seine missratene Tochter meinte. Während der Senator dann seinen Hut aufsetzte und mit festen Schritten zur Tür ging, überlegte der Investigator, ob er wirklich seine Existenz aufs Spiel setzen würde, wenn er die Frage stellte, mit der er sein Geld vielleicht doch noch eintreiben könnte.
»Was werden Sie Ihrer Frau sagen, Sir?«
Gowers lächelte, als Blandon in der Tür stehen blieb. Das Lächeln sollte gleichzeitig unschuldig und entschuldigend aussehen, schließlich war dies keine Erpressung, nur eine Mahnung. Der fette alte Mann wirkte jetzt auch nicht mehr enttäuscht oder überrascht. Nur noch ein wenig amüsiert.
»Sie sind mir als diskret und integer empfohlen worden, Mr. Gowers. Und ich werde Sie als diskret und integer weiterempfehlen. Mehr kann ich nicht für Sie tun.«
Aber jede Menge gegen mich, du fetter Hurensohn, dachte Gowers und wusste nun doch, dass von seiner nächsten Frage mehr abhing, als ihm lieb sein konnte.
»Darf ich Sie trotzdem um einen Vorschuss für meine weiteren Bemühungen bitten, Sir?«
Blandon sah ihm zum ersten Mal seit ihrer kurzen geschäftlichen Bekanntschaft direkt in die Augen, vielleicht eine Sekunde länger, als er selbst wollte.
»Ich habe verstanden, junger Mann. Sie werden natürlich bekommen, was Ihnen zusteht.«
»Danke verbindlichst, Sir.« Gowers verbeugte sich knapp
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