Tod einer Verrückten
erholt hatten, liefen sie ihm nach; ihre Schritte waren auf dem dicken Treppenläufer kaum zu hören. Di Nuccio war schneller als der Maresciallo, der bald keuchte, sich aber keine übertriebenen Sorgen machte. Er hielt es für unwahrscheinlich, daß der Mann bewaffnet war, und flüchten konnte er eigentlich nur in seine eigene Wohnung, sofern Di Nuccio ihn nicht vorher einholte. Di Nuccio holte ihn nicht ein. Abgesehen von dem Vorsprung kam Fantechi seine Angst zugute. Als der Maresciallo im dritten Stock ankam, drückte Di Nuccio bereits unnachgiebig auf die Klingel .
Ein Hund begann zu bellen und dann zu heulen. Der Lautstärke nach ein sehr großer Hund. Sie hörten ihn gegen die Tür rennen. Die Klingel schrillte so laut wie ein Feueralarm, aber weder sie noch der heulende Hund vermochte auch nur einen einzigen Hausbewohner ins Treppenhaus herauszulocken, der nachgesehen hätte, was los war. Abgesehen von der alten Dame im obersten Stockwerk war das Haus anscheinend leer. Alle Leute waren in Urlaub. Di Nuccio gab es auf zu klingeln und begann mit der Faust an die Tür zu hämmern. Man hörte in der Wohnung ein Fenster oder eine Glastür zuschlagen und zersplittern, und der Hund raste, noch immer bellend, davon. Die Lifttür ging auf, und zum Vorschein kam der Portier .
»Schließen Sie die Tür auf«, befahl ihm der Maresciallo .
»Ich darf eigentlich … «
»Sie haben die Schlüssel. Sperren Sie auf.« Die Tür wirkte viel zu solide, als daß der Maresciallo hätte versuchen wollen, sie einzurennen .
»Wenn Sie die Verantwortung übernehmen …« Aber er zog seinen Schlüsselbund hervor und ließ die beiden ein .
Der Hund schoß aus der verdunkelten Wohnung, deren Fensterläden geschlossen waren, und sprang den Maresciallo so heftig an, daß er ihn fast umstieß .
»Giulio! Platz, mein Junge! Giulio! Keine Sorge, er kennt mich. «
Der Portier packte das große Tier am Halsband. »Beruhig dich, mein Junge, immer mit der Ruhe. Keine Sorge, ich habe ihn oft gefüttert und bin mit ihm hinausgegangen, wenn niemand da war, deshalb … Ruhig, Giulio! Braver Hund. «
Aber die beiden Carabinieri gingen bereits auf den Lichtstrahl zu, der die Dunkelheit durchschnitt. Er kam aus einem Schlafzimmer auf der linken Seite des breiten Flurs. Die Verandatür stand offen. Der Boden war mit Glasscherben übersät, und der Musselinvorhang bewegte sich leicht im Lufthauch. Sie traten auf den Balkon hinaus und blickten auf einen Hof hinunter, in dessen Mitte eine Palme stand. Daneben lag Fantechi mit dem Gesicht nach unten auf den Steinplatten, einen Arm unter dem Körper, den anderen ausgestreckt, als wollte er die Leute von seinem zerschmetterten Kopf fernhalten. Aber niemand näherte sich dem leblosen Körper, und die Blutlache um den Kopf breitete sich im abendlichen Licht ungehindert aus .
»Ich rufe einen Krankenwagen«, sagte Di Nuccio .
Der Maresciallo rührte sich nicht von der Stelle. Wenig später lenkte ihn ein leises Klicken ab, und als er aufschaute, bemerkte er am obersten Fenster rechts das weißgepuderte Gesicht der alten Dame. Sie hatte ihren kleinen Hund fest an sich gedrückt, und sobald sie gesehen hatte, was es zu sehen gab, zog sie sich rasch zurück und klappte die Fensterläden zu. Der Maresciallo starrte wieder hinunter. Neben dem Körper tauchte der Portier auf, schaute, nachdem er sich kurz darübergebeugt hatte, nach oben und machte eine Geste, die besagte, daß nichts mehr zu machen war, aber der Maresciallo reagierte nicht. Er starrte hinunter, ohne den Körper auf den Steinplatten wirklich zu sehen. Statt dessen sah er Clementina, nicht wie sie tot dalag, sondern wie sie auf dem Platz tanzte, mit vom Wein und vom Essen gerötetem Gesicht, glücklich am letzten Abend ihres unglücklichen Lebens. Zwischendurch sah er auch Bruno, wie er in sein Büro platzte und die auf Hochglanz polierten Hacken zusammenschlug .
»Zum Kuckuck noch mal, Bruno, mach das nicht hinter meinem Rücken! Sonst bekomme ich noch einen Herzinfarkt! «
»Tut mir leid, Signore. «
»Und nenn mich nicht Signore! «
Dann tauchte ein anderes Bild vor ihm auf, eines, das er noch nie gesehen hatte. Es war eine Frau, die nicht, wie der Mann im Hof, mit dem Gesicht nach unten dalag, sondern auf dem Rücken, und deren eingeölter und gebräunter glatter Körper die letzten Lichtstrahlen auffing, bevor die Sonne am Horizont im Meer versank .
»Ah, Maresciallo! Guten Morgen! «
»Schaut mal, wer da ist! «
»Schöner Tag,
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