Tod einer Verrückten
behende für einen so korpulenten Menschen, und hatte die kalte Kompresse auf den Boden fallen lassen .
»Meine Frau … «
Sie war in Tränen aufgelöst. Er fuhr selbst nach Hause, so daß sie sich ganz darauf konzentrieren konnte, ihm zu sagen, was sie von ihm hielt. Nach der halben Strecke war sie fertig und verstummte bis auf ein gelegentliches Schniefen, gefolgt vom Griff zum Taschentuch. Als sie die verwaiste Via Romana entlangfuhren, in der die Rolläden sämtlicher Geschäfte heruntergezogen waren, riskierte er eine Bemerkung: »Ist dir aufgefallen, daß da drüben alle Geschäfte offen hatten? «
Das heiße Wetter hielt unverändert an, obwohl der Wetterbericht Gewitter angekündigt hatte. Gewitter gab es sehr wohl, aber nur im Norden, und drei Tage hintereinander sahen der Maresciallo und seine Frau beim Abendessen in den Nachrichten überschwemmte Felder und Städte, die durch die Regengüsse lahmgelegt worden waren und in denen das Wasser kniehoch um im Stich gelassene Autos strudelte. Über dem Himmel von Florenz ließ sich kein Wölkchen blicken. Die Luft wurde zunehmend schwer und dampfig, als schwitzte sogar die Sonne vor Anstrengung, und die Hitze, die auf den steinernen Fassaden der riesigen Paläste flimmerte, ließ zusammen mit der gleißenden Helligkeit die Welt jedem verzerrt erscheinen, der so unklug war, ohne Sonnenbrille aus dem Haus zu gehen. Der Maresciallo, dessen Augen überempfindlich auf die grelle Sonne reagierten – sie begannen sofort heftig zu tränen –, ging nie ohne dunkle Brille aus dem Haus. Er ging überhaupt selten nach draußen, sondern blieb lieber in seinem Büro auf dem Carabinieri-Posten im Palazzo Pitti, erledigte langweiligen Papierkram, trank viel Mineralwasser, worauf er nur noch mehr schwitzte, und wechselte zwei- bis dreimal am Tag seine Khakiuniform .
Am vierzehnten August, dem Vorabend des Feiertags Mariä Himmelfahrt, kletterte das Thermometer sogar noch höher. In den Nachrichten wurden keine überschwemmten Landstriche in Norditalien mehr gezeigt, sondern menschenüberflutete Strände und Luftaufnahmen von mit Köpfen übersäten Badeorten. Die Fähren streikten, wie üblich in der Hochsaison, und man sah Interviews mit verzweifelten Familien, die schwitzend in ihren Autos saßen, auf dem Rücksitz nörgelnde und jammernde Kinder, und stunden- oder gar tagelang in der brennenden Sonne warteten .
»Welchen Zweck hätte es jetzt umzukehren?« schrie ein Fahrer mit gerötetem Gesicht ins Mikrophon. »Wir haben auf Sardinien ein Hotel für zwei Wochen gebucht. Seit fünfzehn Stunden hocken wir nun schon hier, und falls Sie wissen wollen, was ich von den Streikbrüdern halte, für mich sind das …« Das Interview wurde abgebrochen, bevor das Wort in den Äther dringen konnte, und man sah einen verlassenen Platz mitten in Rom. Ein einsames Auto überquerte ihn und blieb für die Kamera stehen .
»Wie schaffen Sie es, im August in Rom zu überleben? «
»Mit gewissen Schwierigkeiten, aber ich komme ganz gut zurecht. Meine Frau und die Kinder sind in den Bergen, also brauche ich mich nur um mich selbst zu kümmern. Aber wenn ich eine Zeitlang herumfahre, finde ich meistens ein offenes Restaurant. «
»Morgen ist der Fünfzehnte. Ob Sie da eines finden, das geöffnet hat? «
»Wohl kaum, aber ich habe zu Hause jede Menge Dosen aus dem Supermarkt. «
»Das hört sich an, als würde es Ihnen Spaß machen. «
»Na, sehen Sie sich doch um! An manchen Tagen fahre ich nur so zum Spaß quer durch die ganze Stadt und parke an fünf oder sechs verschiedenen Stellen. Nachdem man in dieser Stadt das ganze Jahr hindurch mit dem Verkehr zu kämpfen hat, ist das eine echte Erholung. «
Der Maresciallo fühlte sich an seine ersten Jahre in Florenz erinnert, in denen seine Frau mit den beiden Jungen zu Hause in Sizilien hatte bleiben müssen, weil seine betagte Mutter so schwer krank war, daß man sie weder allein lassen noch transportieren konnte. Vielleicht war es ja ganz lustig, einen Monat ohne Familie zu sein, aber nicht jahrelang .
Sogar der Film, der nach den Nachrichten gezeigt wurde, drehte sich um dieses Thema. Ein berühmter Komiker spielte einen Ehemann, der allein in der verwaisten Stadt zurückbleibt, umgeben von mit Schutzhüllen überzogenen Möbeln und einem Konservenvorrat in der Speisekammer. Wie der für die Nachrichten interviewte Mann genoß er die Zeit so ganz allein und verliebte sich bald in eine hübsche junge Touristin, die unbedingt
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