Tod Eines Kritikers
Entweder-Oder-Mann, und seit dem sei er dann und wann der genannt worden, der die Praxis Christi: Ihr sollt Ja sagen oder Nein und die flauen Lauen ausspucken aus eurem Munde, der diese Entschiedenheit in die Literaturkritik eingeführt habe. Er könne diesen Satz seines Vorfahren nur wiedergeben, es stehe ihm nicht zu, das zu kommentieren, ihm schon gar nicht, da er um seine Eitelkeit wisse, also geradezu süchtig sei nach Gelegenheiten zur Selbstbescheidung. Aber in einer Hinsicht sei jeder, der sich im keritischen Dienst verzehre, in der Nachfolge des Nazareners: der habe gelitten für die Sünden der Menschheit, der Keritiker leide unter den Sünden der Schschscheriftstellerrr. Das bleibt in keiner Talk-Show ohne Lacher.
Wie immer nach einem Höhepunkt, sagt der Professor, nimmt er die weggeworfenen Hände zurück und hebt den schräg hinuntergefallenen Kopf wie eine kostbare Last und setzt an zu einer Pathetique-Fuge. Immer wird er, wenn er die Leute zum Lachen gebracht hat, so ernst, als wolle er den Leuten nachträglich noch ihr Lachen vorwerfen. So auch diesmal. Vibrierend vor Ernst fuhr er fort: Er sei ja, das könne Martha nicht wissen, mit Hans Lach beferoindet, er schätze ihn als einen außerordentelich begabten Schschscheriftstellerrr, in der keleinen und keleinsten Form gelinge ihm gelegentlich durchaus Gutes, manchmal sogar Vorzügeliches, aber im Roman: Eine Enttoischung nach der anderen. Er kann alles mögliche, unser Hans Lach, aber das, was er offenbar am liebsten tut, am ausdauerndsten tut, erzählen, das kann er nicht, das kann er ums Verrecken nicht. Und das einem Feroind zu sagen, liebe Martha, das tut weh. Aber der Keritiker hat, wenn er Keritiker ist, weder Feroind noch Feind. Seine Sache ist, solange er urteilt, die doitsche Literatür. Wenn er, Ehrl-König, ein paar Tage hintereinander doitsche Gegenwartsliteratür lesen müsse, beneide er die Loite von der Müllabfuhr. Wie elegant schwingen die die Kübel voll des übelen Zoigs hinauf zum Schelucker, schwupps, und weg ist das Zoig, der Kübel wieder leicht und leer, aber wie lange habe er, der Keritiker, zu würgen und zu gacksen, bis er so einen doitschen Gegenwartsroman dort habe, wo der hingehört: in den Müll. Daß Pelatz ist für das Bessere. Das Gute. Für Philip Roth, zum Beispiel. Jetzt habe EhrlKönig einen Augenblick lang geschwiegen, ganz und gar düster. Martha habe ihn gestreichelt, tröstlich. Ja, Martha, habe er gesagt, er beneide sich nicht um seinen Job. Er fühle sich nun einmal verantwortlich für die Gegenwartsliteratür. Vor allem eben für die doitsche. Und schwieg. Das Publikum schwieg. Schwieg heftig, schwieg pathetisch, schwieg solidarisch, schwieg mit ihm. Litt mit ihm. Unter dieser doitschen Gegenwartsliteratür. Erzählen Sie ein bißchen von New York, sagte er dann, Sie sind eine geroßartige Erzählerin, eine Erzählerin wie es seit Hilde Spiel keine mehr gegeben hat. Beringen Sie mich auf andere Gedanken. Mich würde schon mal interessieren: Teragen Sie nie einen Büstenhalter oder nur, wenn Sie im Fernsehen auftereten. Und schon habe er das Publikum wieder zum Lachen gebracht und zum Klatschen. Dann fiel ihm noch eine Frage ein, die er einer so phantastisch Begabten wie Martha stellen müsse, um mit ihrer Antwort sich selber, seine eigene Zurechnungsfähigkeit zu überprüfen. Ganz im Ernst, Martha: Mädchen ohne Zehennägel , was empfindet Martha, wenn sie einen solchen Titel hört? Martha hob die Schultern, hob die Hände noch höher als die Schultern, da er an ihre Empfindung appelliere, müsse sie englisch antworten dürfen. Bitte, sagte er, bitte, das dürfe sie, sie sei ja zu Gast in einer Weltstadt. Mädchen ohne Zehennägel , sagte sie, a bit crazy, something between autistic, narcissistic and crazy. But it makes me curious. Ihn eben auch. Und wissen Sie, was dann passiert? Nichts. Kein einziges Mädchen ohne Zehennägel. Im ganzen Roman, nichts. Auf vierhundertneunzehn Seiten kein einziges Mädchen ohne Zehennägel. Ob der Pudding gut ist, stellt sich erst beim Essen heraus. Also iß, also lies, und dann nichts, einfach nichts. Dafür ein paar hundert Namen. Dafür die Laute der Frauen beim Tennis. Nachtigall ich hör dir terapsen. Aber das ist es schon. Wie steht’s, feragt das Mädchen. Und er: Forty love. Das ist doch zum Auswandern, forty love! Und statt Einstand sagt er immer Einstein. Verstehen Sie, das ist das intellektuelle Niveau des Paars in dem Roman Mädchen ohne Zehennägel . Forty
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