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Tod Eines Kritikers

Tod Eines Kritikers

Titel: Tod Eines Kritikers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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einläßlich, als wolle er demonstrieren, zu welch vernünftigem Ton er im Stande sei. Dieser Ton änderte sich dann allerdings. Nicht ins Laute oder Allzulaute, sondern ins irrsinnig Leise, ins total Insichgekehrte. Und was er da aufsagte, war dann doch sensationell. Goethe.

    Ich kenne nichts Ärmeres Unter der Sonne als euch, Götter!
    Ihr nähret kümmerlich
Von Opfersteuern
Und Gebetshauch
Eure Majestät
Und darbtet, wären
Nicht Kinder und Bettler
Hoffnungsvolle Toren

    Einige klatschten, Hans Lach zischte und sagte: Moment. Es folgt Seite vierhunderteins aus dem Roman Mädchen ohne Zehennägel . Und das müsse er, Silbenfuchs, mir jetzt auch vorlesen, sonst begriffe ich nichts von dem, was dort vorgegangen sei.
Ich reichte ihm das Buch, er las:

    Ein großer Wurm auf ihrer Seite. Sie verlor, weil sie immer um den herumspielen mußte. Der Wurm hatte sich durch seine Bewegungen im roten Sand förmlich paniert. Er rührte sich nicht mehr. Dann doch wieder. Als sie nachher den Platz auf ihrer Seite abzog, hatte sie den Wurm vergessen, dann sah sie ihn, sie hatte ihn mit ihrer meterbreiten Riesenbürste mitgerissen, wieder tiefer in den Platz hinein, von dem er sich hatte fortbewegen wollen. Noch einmal bis zum Rand, das würde der Wurm nicht schaffen. Sie riß ein Efeublatt ab, kriegte den Wurm mit Hilfe dieses Blatts zu fassen und warf ihn durch den Zaun. Der Wurm blieb im Zaun hängen. Noch einmal nahm sie ihn mit Hilfe eines Blatts, warf ihn, er blieb wieder hängen. Dreimal mußte sie ihn vom Zaun nehmen, bis es ihr gelang, den inzwischen ganz Erschlafften durch das Drahtgeflecht durch und hinaus ins Gras zu werfen. Rich hatte ihr zuerst zugeschaut, dann hatte er ihr einen Kuß zugeworfen: Dann eben nicht! Und hatte den Platz verlassen. Trübsinnig fuhr sie nach Hause.

    Als wieder ein paar klatschen wollten, zischte Hans Lach: Bitte, nicht. Beifall ist etwas, was ich, seit ich gesehen habe, wie man dergleichen erwirbt, entbehren kann. Und jetzt, Herr Ehrl-König, jetzt Claqueure aller Farben, das letzte Mal, jetzt, lieber Ludwig, jetzt, verehrteste Julia, jetzt das allerallerletzte Mal ein Text von Hans Lach, hier, denn daß jetzt Schluß ist, habt ihr ja heute alle miterlebt, Also: Mädchen ohne Zehennägel Seite vierhundertsechzehn, also ganz kurz vor Schluß aus dem Buch über die primitive Frau, die dumme Gans. Und las gewissermaßen stimmungslos, sozusagen als reine Textanbietung, die drittletzte Seite seines Buches. Und auch das müsse er, Silbenfuchs, mir vorlesen.
    Sie sagte ihm, als er in ihr war, sei es zum ersten Mal schön gewesen, eine Frau zu sein. Daß man so seiner selbst inne werden könne, habe sie nicht gewußt. Ach so, so ist das, eine Frau zu sein: das habe sie erlebt. Dann sagte sie ihm noch all das, was ihr Männer abverlangt hatten, al jene Sätze, auf die sie nie gekommen wäre, die ihr aber von Männern durch Fragen förmlich souffliert worden waren. Wie findest du mich, fragen die Männer. Bin ich dir zu klein? Bin ich von den Männern, die du gehabt hast, der kleinste? Bin ich der Größtestärkstetollste? Also bitte nur im Fall ich der Größtestärkstetollste von allen Männern wäre, die du je gehabt hast – ja: gehabt hast! sagen sie –, dann wäre es ganz nett, wenn du es mir jetzt, bitte, jetzt sofort und lau und deutlich verraten würdest. Und manche fragen nicht einmal, die sagen es einem vor, die diktieren dir einfach: sag sofort, daß ich der Größtestärkstetollste bin, den du je GEHABT hast Du kannst auch, wenn dir danach ist, noch vermuten, daß ich der Größtestärkstetollste bin, den überhaupt je eine Frau GEHABT hat. Und aus diesen ihr insinuierten Sätzen bildete sie jetzt Sätze für Rich. Die freuten den. Und sie wunderte sich am meisten darüber, daß er ihr all diese Sätze über seine Wunderbarkeit einfach glaubte. Die männliche Bedürftigkeit hat, dachte sie, keine Grenze. Wie arm, wie elend muß jemand dran sein, daß er solche Sätze annimmt als wahr als überhaupt zutreffenkönnend. Mitleid fühlte sie. Und eine Art Wut. Wie kann von ihr erwarte werden, diesen überhaupt nicht durch sie persönlich hervorgerufenen Mangel auszugleichen! Aber vielleicht ist gerade das ihre Aufgabe. Ihre Arbeit. Dazu ist sie da. Ach ja, dann bringen wir es hinter uns. Kann ja sein, daß ihr etwas fehlte. Warum hatte sie so wenig davon? Immer wieder ist es nicht das, was sie braucht. Immer wieder nicht der Mann, auf den sie gewartet hat Auch Rich ist es nicht. Ihm

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