Tod Eines Kritikers
ganz genau zu sein, verkündet Mani Mani: wenn du sagst, du seist verfolgt, stürzen sie auf dich zu und rufen Wahn! Alles Wahn! Und zwar Freund und Feind! Aber wenn du selber alles, worunter du zu leiden hast, als deinen Wahn anbietest, dann bist du wenigstens der, der die Initiative hat. Du kannst die ganze Schar tanzen lassen nach deiner Pfeife. Einen Frieden gibt es nicht. Aber zum Glück eine Ermattung. Wenn die Wörter kleine Tiere wären, denen man Unsterblichkeit beibringen könnte, bliebe ich noch ein bißchen da. Es gibt nichts Journalistischeres als den Titel Die letzten Tage der Menschheit . Daß da nicht schon die Buchstaben in ein seelenbetäubendes Wiehern verfallen sind, läßt mich an den Buchstaben endgültig zweifeln. Nicht verzweifeln. Aber eben ermatten. Zur Gänze. Es war ein wunderbares Leben. Von Abba über Geneviève Winter bis zur Naturkatastrophe Pfleger eins. Schwarz stehen die Bäume jetzt vor der gleißenden Wand. Weil ich mit mir selber so ganz und gar einverstanden bin – wenn ich auch manchmal zu schwach bin, das zugegeben –, kann ich mir gar nicht vorstellen, wie wenig einverstanden andere mit mir sind.
Ich weiß, ich müßte der Schwäche eine Gegenschwäche entgegensetzen. Ich weiß, ich müßte. Das Höchste, was man erreichen kann, einem Feind sagen, daß man sich nicht mehr für ihn interessiere. Das Feld überlassen. Ausscheren. Es fügt sich wunderbar. Er trifft ein. Ich will sowieso gerade gehen beziehungsweise fliehen beziehungsweise fliegen. Nehmen Sie zur Kenntnis, verbreiten Sie’s: ich springe nicht, weil der Herr jetzt wieder auf dem Bildschirm rudert, als sei er andauernd am Untergehen, ich springe (und zwar von der mi r seit der Menterschwaige hochvertrauten Großhesseloher Brücke), weil ich mich mehr liebe, als der Rest der Menschheit das schafft. Mich ruft Freund Hein(e). Ich folge. Für meinen Nachruhm ist gesorgt. Sobald die Guten abdanken, sind wir dran. Schön böse und schweinefriedlich. Die Gerechtigkeitskriege werden vorbei sein. Keiner muß mehr, um gut zu sein, einen anderen böse nennen. Ich kann’s gar nicht erwarten.
Nun denken Sie mal schön nach, was das heißt: stellvertretender Selbstmord. Ihr Mitempfinden erwartend, grüße ich als Ihr Mani Mani.
Letztes PS: Ich bin glücklich, verstehen Sie. Glück macht geschwätzig. Unglück auch.
Julia und ich sahen einander an.
Pobre chico, sagte ich.
Den zu retten, bin ich wahrscheinlich geboren worden, sagte sie.
Das kannst du bei jedem sagen, der sich umbringt, sagte ich.
Wir schwiegen einander an.
Dann sagte ich: Drauf und Dran
Poet und Poesie
Selbstporträt mit Spiegel.
Julia sagte: Nein. Sie hat in München schon alles zusammentragen lassen, was von Mani Mani geblieben ist, damit wird sie ihm hier einen Raum bereiten. Der wird wirken.
Sie merkte, daß mir das zu hoch war. Sie wollen ihn ausliefern, sagte sie, an den Betrieb. Ach, Julia, sagte ich. Stellvertretender Selbstmord, sagte sie, das verpflichtet. Und daß er hierher will, sagt er schaurig genau.
Dieses Gespräch fand statt in ihrem Arbeitszimmer: eine Lacktapete mit schwarzen und weißen Streifen, die schwarzen ein bißchen breiter als die weißen. Und von der Decke schwebte an einer silbernen Kette ein schwarzer Engel mit grünen Flügeln. Mit beiden Händen hielt der Engel eine silberne Sichel. Und an den zwei Wänden, die von keiner Tür und von keinem Fenster unterbrochen wurden, hingen zwei riesige, auf Holz gezogene Kopien der Blakegemälde, auf denen die Zwillinge Urizen und Los ihr Getrenntsein erleiden. Lassen Sie mich nur machen, sagte Julia und drehte den Kopf ein bißchen zur Seite, nur um mich dann aus den Augenwinkeln anschauen zu können. Dazu den gewulsteten Mund. Dazu die beiden Zeigefinger senkrecht. Das war ihre verwegenste Pose.
Ich konnte nichts mehr sagen. Ich hatte es satt, allem, was passierte, einen Sinn geben zu müssen.
2
Wenn wir nicht schwammen, lasen wir, schrieben wir. Sie fing an, abends vorzulesen, was sie tagsüber geschrieben hatte.
Das fand im Grünen Salon statt, so genannt, weil Decke und Boden grün glänzten und die von dunklen Hölzern gehaltenen Polster ebenfalls, die allerdings im dunkelsten Grün überhaupt. In der Raummitte hing von der Decke an einem Strick auch eine Sichel. Aber eine uralte. Einer Bäuerin abgekauft. In Tiscamanita. Aus der Inselzeit de los majoreros.
Julia ging im Zimmer hin und her. Ihre liebste Kleidung offenbar, hier und in München, wenn auch in München
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