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Tod Eines Kritikers

Tod Eines Kritikers

Titel: Tod Eines Kritikers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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wieder?) Aber eben deshalb muß sie im Ornament verschwinden. The winner takes it all. The looser has to fall. Und Rolf Hochhuth, der Prinz der
    Geschichtsträchtigkeit überhaupt. Und das Ungeschützteste, das es (außer mir natürlich, klar!) gibt. Und Else Lasker-Schülers unkomplizierte Zärtlichkeit streichelt mich, wo ich gestreichelt werden muß. Sie sind mein Meister, weil Sie den Mund aufmachen, bis es Ihnen selber wehtut. Sie sind kein Vorbild, sondern eine altmeisterliche Warnung: cave veritatem. Und ich hinterlasse Ihnen den Rat, den nur ich Ihnen hinterlassen kann: Wer verfolgt wird (wie Sie und ich), der tut gut daran, bei seinen Verfolgern den Eindruck zu produzieren, er wisse, daß er gar nicht verfolgt werde, er wisse, daß es ein Wahn sei, der ihm vorspiegle, verfolgt zu werden, kurz, er wisse, daß er an Verfolgungswahn leide. Das hat den Vorteil, daß er dann und wann zu jemandem von seinem Verfolgtsein sprechen kann. Kein Mensch kann sich dafür interessieren, daß einer verfolgt wird, aber wenn einer sagt, er bilde sich ein, verfolgt zu werden, wird er gleich interessant. Unter der Vorgabe, ich bildete mir ein, verfolgt zu sein, habe ich immer wieder aufmerksame Zuhörer gefunden. In der Nussbaumstraße, in der Menterschwaige und sogar in Haar. Aber auch außerhalb der Anstalten. Es ist ja heute jeder Teilhaber an irgendeinem ärztlichen Vokabular und scharf darauf, es anzuwenden. Das Vokabular der Medizin darf als demokratisiert gelten. Jeder terrorisiert dich jetzt mit den Vokabularfragmenten, die er aufgeschnappt hat. Das ist zwar das Gegenteil der früheren Kastenherrschaft der Ärzte, aber es gehört nun einmal zu den menschlichen Verhältnissen, daß etwas das Gegenteil von etwas ist und doch genau so schlimm wie das, wovon es das Gegenteil ist. In der Natur nicht vorstellbar. Natürlich darf man weder dem Arzt noch dem Laien sagen, von wem man sich einbildet, verfolgt zu sein.
    Man muß, bevor man zuviel verrät, die Unterhaltung abbrechen. Etwa so: Das Schlimmste wäre, wenn der Verfolger erführe, daß man sich einbildet, von ihm verfolgt worden zu sein. Ich, Mani Mani, kann jederzeit dienen mit einer Hintergrunderforschung des Verfolgtseins beziehungsweise des Wahns, verfolgt zu sein. Das ist die Wirkung, die Feindschaft auf einen hat. Wenn ich hätte am Leben bleiben können, also berühmt geworden wäre, hätte ich Preise und Auszeichnungen jeder Art annehmen müssen. Und es gibt nichts Erbärmlicheres als das Annehmen von Preisen und Auszeichnungen. Das weiß jeder, und doch kann’s keiner vermeiden. Warum?! Die Feinde wollen einen abschaffen. Die Gegner wollen einen so klein machen, daß man sich selber nicht mehr begriffe. Also muß man Preise und Auszeichnungen annehmen, um den Gegnern ihr Vernichtungshandwerk zu erschweren.
    Unsere Gesellschaft ist so verfaßt, daß Feindschaft und Gegnerschaft besser gedeihen als Freundschaft und Liebe. Unsere Kultur will es so, daß einem ein Feind mehr schaden, als einem ein Freund nützen kann. Vor allem anderen sind wir eine Gesellschaft von Verfolgten und Verfolgern. Und jeder ist beides, Verfolgter und Verfolger. Jeder hat eine deutlichere Erfahrung vom Verfolgtsein als davon, selber Verfolger zu sein. Wir merken deutlicher, was uns angetan wird, als was wir anderen antun, klar. Ich bin natürlich weder das eine noch das andere, ich bilde es mir ja nur ein, verfolgt zu werden oder zu verfolgen. Und frage mich, ob ich ein Recht habe, solche ehrwürdigen Wörter überhaupt in Anspruch zu nehmen! Verfolgter und Verfolger! Überhaupt: Verfolgung! In dieser keinen Abend ohne Fernsehfußball verbringenden Gesellschaft. Wer hat da noch Zeit zum Verfolgen! Ich werde mich hüten zu beweisen, was ich weiß. Andeuten muß ich: Verfolgung findet heute statt unter einer Flora von Mimikry. Verfolger treten heute auf als Freunde (zum Beispiel Georg, seinerseits Künstler, grabscht mir Hannelore weg wie nichts). Und die Feinde und Gegner sind mit jeder Sorte Recht und Legitimität im Bund. Sie kämpfen für das Gutewürdige überhaupt. Deshalb rate ich – vermächtnishaft – jedem, nie zuzugeben, daß er verfolgt werde, sondern immer zu sagen, er bilde sich nur ein, verfolgt zu werden. Sofort ist er dann nicht mehr der so und so Mangelhafte, den man kleinkriegen oder abschaffen muß, sondern ein armer Leidender, dem man zwar nicht helfen kann, der aber in irgendeiner Bezeichnung unterzubringen ist und da sein Dasein noch gar verhauchen kann. Um jetzt

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