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Tod Eines Kritikers

Tod Eines Kritikers

Titel: Tod Eines Kritikers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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Jeden Nachmittag um vier kam Sunhilda Sánchez und lehrte mich Spanisch. Ich hatte darum gebeten, anzufangen mit las palabras de todos los días. Was für eine Sprache, in der cuenta Rechnung und cuento Erzählung heißt.
    Spanisch paßte zu Julia viel besser als Deutsch. Ihrem Bewegungsstil, das heißt ihren jähen, aber immer genau gefangenen Bewegungen entsprach die harte, aber nie grobe Eleganz dieser Sprache. Sie las mir Unamuno vor. Die Sonette, die er geschrieben hat, weil er von Primo de Rivera auf diese Insel verbannt worden war. Julia wollte, daß mich diese Sonette hier willkommen heißen sollten. La Isla de los Desterrados hieß die Insel damals.
    Für mein Projekt Von Seuse zu Nietzsche entdeckte ich in Julias Bibliothek die Poesías von San Juan de la Cruz. Canciones entre el alma y el esposo . Wie für mich geschrieben. Julia half beim Verstehen. Ich lebte von Julia, mit Julia, durch Julia. Die mir verwandteste Figur dürfte in dieser Zeit Robinson Crusoe gewesen sein. Julia, mein Freitag. Aber jeden Tag fuhr der Laster mit Erdinger Weißbier vorbei. Wenn ich ermüdete, las ich Gedichte von Lorca, die so schön sind, wie die Erde gewesen sein muß, bevor es Menschen gab. Son las cuatro en punto schallte vom Club Mediterrané die Programmansage herauf. Vier Uhr Gymnastik mit Heike. Fünf Uhr Entspannung mit Andrea. Ein Blatt landete auf der Brüstung wie ein Vogel und flog weiter. Ich folgte nicht.
    Nach fünf Wochen flog Julia zum ersten Mal zurück nach München. In meinem Arbeitszimmer stand ein Fernsehapparat, den ich bis jetzt nur zum Spanischlernen benutzt hatte. Jetzt geriet ich beim Zappen in deutsche Programme und blieb (natürlich) hängen an André Ehrl-König. Dafür war also gesorgt. Er orgelte wie eh und je. Ich nahm es mir übel, daß ich zuschaute. Ich durfte nicht zurück nach München. Ich würde ja doch wieder Kontakt suchen zu diesem Medienmann. Ich mußte mich für unverbesserlich halten. Er sprach gerade über das Buch einer Autorin. Ein Gutes Buch. Nur ihre Stücke seien schlecht. Klar. Eine Frau könne doch keine guten Stücke schreiben. Sobald er das sage, höre er immer: Und Marie Luise Feleißer! Jaa! Das sagen die Leute, weil sie nicht wissen, daß die Feleißer nur Gute Stücke gescherieben hat, solange sie mit Berecht geschelafen hat. Das Publikum lachte, klatschte, war begeistert. Nicht zurück!
    In der nächsten Nacht habe ich geträumt: Um zu hassen, brauch ich ein Zimmer. Im Freien kann ich nicht hassen.
    Das Meer ist laut Unamuno una experiencia religiosa, alguín diría que mística.
    Ich rief, solange Julia weg war, Olga an. Sie stand kurz vor der Niederkunft und konnte erst einmal nur über Schwangerschaftssensationen plappern. Das machte mir das Getrenntsein von ihr fast erträglich. Obwohl ich von allen gleich weit weg war, weh tat nur die Entfernung von ihr. Ich wußte noch nicht, wie ich damit leben sollte, daß sie jetzt nicht mehr meine Frau war. Das war sie gewesen. Eine Zeit lang. Und Erna hat es zulassen müssen. Olgas Schwangerschaftsgeplapper mußte ich förmlich inhalieren, vielleicht gelang so eine Art Distanz. Schlafen würde ihr Jan im Augenblick nicht mit ihr. Wahrscheinlich. Aber sie würde ihn bedienen. Sie war, wenn sie liebte, scheußlich begabt. Ihren Jan liebte sie. Schon weil er ihr das Kind gemacht hatte. Der archaische Kinderwunsch, sagt dazu der Gynäkologe. Dann noch, weniger heftig, das Gejammer über die Firma, aus Oakland keine neuen, keine verbesserten Computerprogramme für die Architekten, aber der Umsatz soll gesteigert werden, sonst … Sie hörte auf, seufzte, entschuldigte sich, fragte, wie es mir gehe, jetzt, wo alles, zum Glück, so gut geendet habe. Es seien die schlimmsten Tage ihres Lebens gewesen, als sie von meinem Geständnis erfahren habe. Sie habe ja gewußt, daß ich ihr damit habe signalisieren wollen: Liefere endlich das Alibi! Das aber hätte geheißen: Jan verläßt sie. Jan sei noch eifersüchtiger als ich. Aber viel länger hätte sie den Druck nicht mehr ausgehalten. Sie war so weit, Jan alles zu gestehen, dann zur Polizei, aber da kommt die Nachricht: Der lebt. Schöner sei noch nie eine Nachricht gewesen.
    Ich rief Erna an, fragte, weil wir beide schwiegen, wie es den Bartók-Elegien gehe, zeigte ihr, daß ich mich ihr innig verbunden fühlte und daß ich, wenn ich mich zum bloßen Konsumenten von Gefühlen entwickeln könnte, mit ihr leben würde, aber in mir gehe es zu wie bei einem Wettergeschehen, bei dem

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