Tod eines Lehrers
Sie in der Lage, mir ein paar Fragen zu beantworten?«
Helga Schirner nickte. Sie saß aufrecht da, die Beine eng aneinander gelegt, die Hände gefaltet. Ihre Mundwinkel zuckten, Tränen liefen ihr übers Gesicht.
»Wann haben Sie Ihren Mann zuletzt gesehen?«
»Gestern Abend. Ich gehe jeden Abend um zehn zu Bett, er sieht sich immer noch die Tagesthemen an und dreht danach mit dem Hund die übliche Runde.«
»Und als Sie heute früh aufgestanden sind, ist Ihnen da nicht aufgefallen, dass seine Seite leer ist?«
Sie sah Brandt an, als hätte sie die Frage nicht richtig verstanden, bevor sie antwortete: »Wir haben schon seit einigen Jahren getrennte Schlafzimmer. Ich brauche meinen Schlaf, und er geht nie vor Mitternacht ins Bett. Das hat mich gestört und … Wie ist er gestorben?«
»Er wurde umgebracht.«
»Umgebracht? Mein Gott! Wie wurde er …?«
»Wie es aussieht, wurde er erstochen. Sie sagen, dass er mit dem Hund draußen war. Ich habe aber keinen Hund gesehen.«
»Henry, ein Golden Retriever. Er hätte niemals zugelassen, dass meinem Mann etwas angetan wird.«
»Ist Henry ein friedlicher Hund?«
»Er ist nicht bösartig, doch Fremden gegenüber ist er erst mal distanziert und beobachtet sie. Aber er hat noch nie zugebissen.«
»Dann ist er also doch ein friedlicher Hund.«
»Ja.«
»Hatte Ihr Mann Feinde?«
»Nicht dass ich wüsste. Mein Gott, was soll jetzt bloß werden? Wie soll ich das nur den Kindern erklären? Rudolf ist tot? Ich hab doch für ihn noch den Frühstückstisch gedeckt«, sagte sie und brach unvermittelt in Tränen aus. »Und ich habe immer gedacht, warum nimmt er diesen finsteren Weg. Tagsüber ist es dort ja ganz schön, aber nachts würde ich nie … Mein Gott, mein Gott, mein Gott! Wie soll das bloß weitergehen?«
»Brauchen Sie einen Arzt?«, fragte Brandt behutsam.
»Ich weiß nicht. Rudolf war doch so ein gutmütiger Mann. Er war bei allen beliebt und hat geholfen, wo er nur konnte. Ich begreife das alles nicht. Warum er? Warum ausgerechnet er? Er hat doch keiner Fliege was zuleide getan, war immer freundlich und hat keinem etwas Böses gewollt. Sie können fragen, wen Sie wollen, Sie werden immer die gleiche Antwort bekommen. Er war doch nur ein Lehrer. Wir haben keine Reichtümer und auch mit keinem unserer Nachbarn Streit gehabt …«
»In welcher Schule hat Ihr Mann unterrichtet?«
»Im Georg-Büchner-Gymnasium, in der Oberstufe. Ich halt das nicht aus, ich glaube, ich drehe durch. Ich muss in der Schule anrufen und Bescheid geben, dass mein Mann heute nicht kommt«, sagte sie mit verwirrtem Blick, sprang auf und wollte bereits zum Telefonhörer greifen, doch Brandts Stimme hielt sie zurück.
»Nein, nein, das brauchen Sie nicht, das übernehmen wir schon. Haben Sie einen Hausarzt?«
»Ja, Dr. Müller«, sagte sie unter Tränen.
»Ich würde es für gut halten, wenn er herkommt und Ihnen etwas zur Beruhigung gibt. Haben Sie seine Nummer griffbereit?«
»Auf dem Telefontisch das braune Register«, sagte sie mit tonloser Stimme.
Brandt suchte die Nummer heraus und rief in der Praxis an. Er ließ sich mit dem Arzt verbinden und bat ihn, so schnell wie möglich vorbeizukommen.
»Er wird gleich hier sein. Ich möchte Ihnen aber trotzdem nocheine Frage stellen. Hat sich Ihr Mann in letzter Zeit auffällig verhalten oder war er anders als sonst?«
Helga Schirner schüttelte den Kopf. »Nein, das hätte ich gemerkt.«
»Und es gab auch keine besonderen Vorfälle wie anonyme Anrufe oder sonstige Drohungen?«
»Nein, wenn ich es doch sage. Es war alles wie immer. Ich kann das alles nicht begreifen.«
»Hat Ihr Mann immer seine Brieftasche und sein Portemonnaie bei sich gehabt, wenn er das Haus verließ?«
»Ja, ich denke schon.«
»Hatte er Kreditkarten oder größere Mengen Bargeld bei sich?«
»Er hatte nur eine EC-Karte und eine Eurocard. Und Bargeld selten mehr als fünfzig oder sechzig Euro.«
Dr. Müller kam nur zehn Minuten nach dem Anruf. Brandt schilderte ihm in kurzen Worten, was vorgefallen war, der Arzt, der die Schirners offenbar schon lange kannte, sprach mit Helga Schirner, die aber seine Worte kaum noch wahrzunehmen schien. Er zog eine Spritze mit einem Beruhigungsmittel auf und injizierte die Flüssigkeit in die Armvene, was sie sich widerstandslos gefallen ließ. Er wartete noch fünf Minuten, bis das Mittel wirkte und Helga Schirner die Augen zufielen und sie gleichmäßig atmete.
»Was haben Sie ihr gegeben?«, fragte Brandt.
»Das
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