Tod im Botanischen Garten - Frank Beauforts dritter Fall
wieder ging. Es war nahezu aussichtslos, auch nur das kleinste Blättchen hinausschmuggeln zu wollen.
»Wenn wir das bloß wüssten! Wir haben plötzlich unerklärliche Lücken im Bestand und keine Ahnung, wie die Bücher hinausgelangt sind.«
»In der Kriminalliteratur nennt man das Locked-Room-Mystery, das Geheimnis des verschlossenen Raumes«, dozierte Beaufort. »Wenn man genauer nachforscht, war der Raum, in dem ein Mord geschah oder aus dem, wie in diesem Fall, etwas entwendet wurde, meist so geschlossen dann doch nicht. Was sagt denn die Polizei dazu?«
»Die haben wir noch nicht informiert. Es wäre hochpeinlich für die Universitätsbibliothek, wenn dieser Vorfall an die Öffentlichkeit dringen würde«, antwortete Harsdörffer erregt. »Wir haben uns erst vor ein paar Wochen zum Gespött gemacht, als eines unserer Magazine bei einem Wolkenbruch voll Wasser lief und Tausende Bücher beschädigt wurden. Wenn die neue Leiterin der UB, Hildegard Krüger-Fernandez, die Bücher nicht sofort hätte einfrieren lassen, wären sie unweigerlich verloren gewesen. Trotzdem haben wir natürlich eine beschämende Rüge vom Kultusministerium kassiert.«
Beaufort erinnerte sich, darüber sogar einen Bericht in der Tagesschau gesehen zu haben. Die tiefgefrorenen Bücher wurden nach und nach zu einem Kaffeeröster nach Bremen geschickt, wo sie von Mitarbeitern nach Feierabend gefriergetrocknet wurden. Danach erst konnten sie restauriert werden. Bestimmt eine kostenintensive Rettungsaktion.
»Das glaube ich auch, dass es dem Ansehen der Universität empfindlich schadet, wenn das bekannt wird«, bestätigte Beaufort. Aber mehr noch würde wohl die Reputation Harsdörffers leiden, fügte er im Stillen hinzu. Sein einstiger Mentor war wirklich in einer unangenehmen Lage.
»Ich wusste, dass Sie unser Problem verstehen würden.« Der Professor wirkte erleichtert.
»Was wollen Sie also in der Sache unternehmen, wenn Sie die Polizei nicht einschalten können?«
»Was für eine Frage? Ich baue darauf, dass Sie uns helfen, den Dieb zu fassen und die gestohlenen Bücher wiederzubeschaffen! Mit Hildegard habe ich schon alles besprochen. Sie kennen sich in der Materie bestens aus, verfügen über kriminalistischen Sachverstand und sind darüber hinaus taktvoll und verschwiegen.«
Beaufort hätte sich gut noch weitere Komplimente anhören können, doch in diesem Moment polterten die verbliebenen Gäste ins Zimmer, allen voran der sichtlich angeheiterteProfessor Gäbelein mit losgebundener Fliege und offenem Hemdkragen. »Hier stecken Sie also! Wir haben Sie schon überall gesucht.« Und ehe Harsdörffer sich’s versah, machte sich die Gruppe lärmend über seine Cognacvorräte her.
»Wenn ich auf Sie zählen kann, kommen Sie morgen in mein Büro«, raunte sein Doktorvater ihm leise in dem Tumult zu. »Dann weihe ich Sie in die Details ein.«
Beaufort machte eine höfliche Verbeugung. »Selbstverständlich können Sie mit mir rechnen. Ich werde da sein.«
*
»Warum melden Sie sich bei mir? Sie haben sich seit zwanzig Jahren nicht mehr gerührt.«
»Was glauben Sie denn? Weil wir einen guten Grund haben natürlich.«
»Ich hätte nicht gedacht, dass es Sie überhaupt noch gibt.«
»Uns wird es immer geben.«
»Was wollen Sie von mir?«
»Jemand war im Archiv. Und er wollte Ihre Akte.«
»Das ist nicht möglich!«
»Das haben wir auch geglaubt, doch es ist Fakt.«
»Oh, mein Gott! Hat er sie bekommen?«
»Leider ja.«
»Wann war das?«
»Gestern.«
»Sie müssen dringend etwas unternehmen.«
»Nein, SIE müssen etwas unternehmen. Ende.«
2. Allez – Mittwoch, 13. Juli
Der Morgenhimmel über der Nürnberger Altstadt leuchtete im schönsten Azurblau. Nicht ein Wölkchen beeinträchtigte den satten monochromen Farbeindruck. Beaufort riss die Küchenfenster seiner Penthauswohnung auf und ließ die sommerliche Luft hinein. Für halb neun in der Früh war es schon richtig warm. Copacabana-Feeling in Franken. Er legte Coleman Hawkins’ Desafinado -Album auf, drehte die Lautstärke hoch und hatte gleich noch bessere Laune. Wenn Hawkins sein Tenorsaxofon zärtlich singen ließ und wie nebenbei Jazz-Sambas und Bossa novas spielte, spürte Beaufort die erträgliche Leichtigkeit des Seins. Er tänzelte im Samba-Rhythmus durch die Küche, presste Orangen aus, kochte Kaffee, schäumte Milch auf, portionierte ein kleines Stückchen Butter in ein silbernes Schälchen, legte zwei dünne Knäckebrote in den Korb, dekorierte eine
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