Tod im Botanischen Garten - Frank Beauforts dritter Fall
Krenrouladen. Anne hat heute Spätdienst in der Redaktion und wollte so gegen 8.00 Uhr zum Abendessen vorbeikommen. Was halten Sie davon, wenn wir auf die Rohkostplatte verzichten?«
Auf dem Gesicht der Haushälterin machte sich ein glückliches Lächeln breit. »So gefallen Sie mir wieder.« Schon warsie im Geiste mit den Vorbereitungen beschäftigt. »Karotten und Äpfel hab ich noch da für die Beilage. Aber frischen Porree muss ich gleich auf dem Markt besorgen. Und Meerrettich. Und natürlich die Rindsrouladen.« Frau Seidl erhob sich geschäftig. »Zum Nachtisch mache ich Ihnen dann eine Fränkische Kirschtorte. Frische Kirschen hab ich nämlich auch noch übrig.« Sie eilte Richtung Wohnungstür.
»Ist das etwa die Torte mit Marzipan, Schlagsahne und Schokoglasur?«, rief Beaufort ihr besorgt hinterher.
»Ja, aber die ist ganz leicht«, antwortete Frau Seidl und zog schnell die Tür hinter sich zu, ehe ihr Arbeitgeber die Dessertpläne durchkreuzen konnte.
Kopfschüttelnd angelte sich Beaufort ein Brötchen aus dem Korb. Erst als er es bereits durchgeschnitten hatte, bemerkte er, dass es schon sein zweites war. Mit einem Seufzer des Entsagens legte er es wieder zurück. Wenn er durchhielt und bis zum Abend nichts mehr aß, durfte er sich Frau Seidls Aufbaukost ohne Gewissensbisse einverleiben. Denn kochen und backen konnte seine Perle wirklich gut – vorausgesetzt, es handelte sich um die regionale Küche.
*
Der Himmel über Erlangen erstrahlte genauso blau wie der über Nürnberg – die Städte lagen ja auch keine zwanzig Kilometer auseinander –, doch als Beaufort in der Universitätsstraße aus dem Taxi stieg, hatte seine gute Laune einen merklichen Dämpfer erhalten. Sein Fahrer war ein richtiger Grantler gewesen, der die ganze Zeit über herumgemurrt hatte, über das zu heiße Wetter, die hohen Spritpreise, die unfähige Nürnberger Stadtverwaltung, die Baustellen auf dem Frankenschnellweg und die vielen Einbahnstraßen in Erlangen. Dazwischen hatte er immer mal wieder zarte Ansätze zu einem Gespräch mit seinem Fahrgast erkennen lassen, als wollte er sagen:Eigentlich bin ich ganz anders, ich komme nur so selten dazu. Doch selbst wenn Beaufort Lust gehabt hätte, darauf einzugehen, wäre seine Antwort bereits in der nächsten Klagearie des Taxlers untergegangen, die genau genommen mehr eine Art lamentierender Sprechgesang war. Das war eine Grundgemütslage, die seiner eigenen diametral gegenüberstand und die er verabscheute. Aber lange konnte ihn das stimmungsmäßig nicht beeinträchtigen angesichts des warmen Sonnenscheins auf seiner Haut, des reizenden Rauschens der Bäume vorm Kollegienhaus und des anmutigen Vogelgezwitschers, das sich mit den Stimmen der Studierenden mischte, die zu ihren Vorlesungen strömten. Beaufort mochte diese mit hunderttausend Einwohnern gar nicht so kleine Universitätsstadt, in der jeder Fünfte ein Student war und in der er selbst einen Teil seiner Hochschulausbildung absolviert hatte. Mit ihren am Reißbrett entstandenen, rechtwinklig angeordneten Straßen war Erlangen zwar lange nicht so anheimelnd wie die schmucke barocke Universitätsstadt Bamberg in der Nachbarschaft. Doch Beaufort gab protestantischer Geradlinigkeit gegenüber katholischen Schnörkeln den Vorzug. Schließlich waren es auch seine eigenen Vorfahren gewesen, in ihrer Heimat verfolgte französische Hugenotten, die diese Stadt mitaufgebaut und geprägt hatten. Diese nostalgische, weltanschauliche und patriotische, also gleich dreifach begründete Sympathie machte ihn aber nicht blind für die Widersprüche hier. Um die zu bemerken, brauchte er bloß einen Blick über die Straße zu werfen. Dort befanden sich rechts die alte Universitätsbibliothek und links der doppelt so große Neubau. Gegensätzlicher konnten Gebäude, die demselben Zweck dienten, kaum sein. Die alte UB war ein repräsentatives Jugendstilbauwerk aus dem Jahr 1913 mit Sandsteinsockel, Säulenportal und wildem Wein an der Fassade. Die neue UB, sechzig Jahre später erbaut, war dagegen ein klobiger Betonkasten, der dem Architekten in seinem öden Grau wohl so eintönig vorgekommensein musste, dass er den Farbkasten auspacken und sämtlichen Fenstern einen metallisch roten Anstrich verpassen ließ. Dergleichen Bausünden aus den Siebzigern gab es noch mehrere in Erlangen – die schlimmste war wohl das Rathaus-Hochhaus. Empfindliche Erektionsstörungen für denjenigen, der dieser Stadt den hässlichen Beton-Phallus aufgepflanzt
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