Tod im Dom
Umkleidekabinen und Damenklos, werden von Videokameras überwacht; und hinter jedem zweiten Spiegel hockt ein hochbezahlter Spitzel und späht Personal und Kunden aus.
Aber zum Sondieren sind Kaufhäuser hervorragend geeignet.
Ich steuerte zielstrebig die Schmuckabteilung an und lungerte unauffällig in der Nähe der Kasse herum, voller Gottvertrauen, daß ein passendes Opfer nicht lange auf sich warten lassen würde.
Die Auswahl des Opfers gehört zu den heikelsten Entscheidungen in meinem Beruf. Manche Kollegen sind ja skrupellos genug, selbst kranke Omas, kleine Kinder und hübsche Mädchen um ihr Geld zu bringen, aber das lehne ich aus ethischen Gründen strikt ab. Die kranken Omas überlasse ich den Jungs von der Straßenräuberfraktion, die es sowieso schon schwer genug haben; kleine Kinder sind schon deshalb tabu, weil der Ertrag die Mühe nicht lohnt; und nur Idioten greifen hübschen Mädchen in die Taschen, statt sich mit den lohnenderen Dingen zu beschäftigen.
Ich bin auf wohlhabende, elegant gekleidete und bösartig wirkende Männer und Frauen mittleren Alters spezialisiert, die ihr Geld entweder in den Manteltaschen oder ihren Handtaschen aufbewahren, und je bösartiger sie wirken, desto besser.
Das macht das Stehlen einfach – moralisch gesehen.
Meine Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt.
Das Glitzern und Funkeln der ausgestellten Pretiosen begann mir bereits die Sinne zu verwirren, die Verkäuferinnen warfen mir immer öfter mißtrauische Blicke zu, und die hochbezahlten Spitzel hinter den Spiegeln telefonierten wahrscheinlich schon mit der Geschäftsleitung, um mich vorbeugend verhaften zu lassen, da erschien es endlich – das ideale Opfer.
Ende Dreißig, ganz in Boss gekleidet, die edlen Füße von Schlangenlederschuhen umschmiegt, das Gesicht eine Maske aus Haß und latenter Gewaltbereitschaft, Typ Juniorchef einer Firma, die auf den Import von Tropenhölzern oder aussterbenden Tierarten spezialisiert war, unglücklich mit der frigiden Tochter des Seniorchefs verheiratet, Vater zweier mißratener Kinder, die er ausgiebig tyrannisierte, und mit der eigenen Sekretärin liiert, die er früher oder später in den Selbstmord treiben würde.
Und vermögend genug, um das flotte Leben zu führen, das mir ein blindes Schicksal bisher verwehrt hatte.
Daß er bei seiner Vermögenslage ausgerechnet in der auf Massengeschmack getrimmten Schmuckabteilung des Kaufhofs aufkreuzte, statt bei einem der vornehmen Juweliere, die sich ihre Exklusivität teuer bezahlen ließen, konnte nur bedeuten, daß das Geschenk für seine Frau und nicht für seine Sekretärin bestimmt war.
Unauffällig rückte ich ein wenig näher und fand meine Vermutung bestätigt. Der Juniorchef erstand für schlappe 900 Mark eine besonders häßliche Perlenkette, Marke Ehefrauenglück, und bezahlte sie mit einem druckfrischen Tausender, den er aus einer prallgefüllten Schlangenlederbrieftasche zog.
Er steckte das Wechselgeld ins schicke Portemonnaie.
Ich hielt den Atem an – dies war der entscheidende Moment.
Der Juniorchef enttäuschte mich nicht. Ganz Weltmann, dem Geld nichts bedeutet, weil er sowieso genug davon hatte, ließ er die Schlangeniederbörse locker-lässig in die rechte Manteltasche gleiten und machte sich auf seinen Schlangeniedertretern davon.
Ich heftete mich sofort an seine Fersen.
Soviel Leichtsinn mußte bestraft werden. Allein der Inhalt dieses gottverdammten Reptilienportemonnaies würde mich auf einen Schlag von den drängendsten finanziellen Sorgen befreien! Jetzt blieb nur noch zu hoffen, daß sein Bedarf an Kaufhofgeschenken gedeckt war und er sich sofort wieder ins Getümmel auf der Schildergasse stürzte.
Meine Hoffnung wurde nicht enttäuscht.
Er steuerte direkt auf den Ausgang zu.
Ich sputete mich und holte ihn auf dem Warmluftrost an den Türen ein. Im gleichen Moment drängte von draußen eine Horde übergewichtiger Hausfrauen ins Einkaufsparadies, und mit einem schnellen Schritt sorgte ich dafür, daß ich zwischen ihnen und dem Juniorchef eingequetscht wurde.
Ihm dabei meinen Gipsarm in die Seite zu drücken, mit meinem versteckten Greifarm die Schlangeniederbörse aus der Tasche zu fischen und unter meinem Pullover verschwinden zu lassen, war die Sache eines Augenblicks.
Der Juniorchef drehte den Kopf und funkelte mich wütend an. Offenbar hatte ich mit dem Gipsarm etwas zu fest zugedrückt.
»Au!« sagte ich laut, um sein aufkeimendes Mißtrauen durch geschickt eingeflößte
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