0492 - Der Zug aus der Hölle
Lady Patricia hob den Kopf. Ihr Blick traf den ihres Mannes. »Ich habe kein gutes Gefühl dabei«, sagte sie. »Du solltest nicht fahren. Bleib hier, überlasse die Politik den anderen. Du weißt, wie leicht dir etwas passieren kann. Und das möchte ich nicht - das wäre zu riskant, Bryont. Ich will, daß du in deinem Sohn weiterlebst.«
Lord Bryont Saris ap Llewellyn lächelte.
In den letzten Monaten war er stark gealtert; man sah ihm an, daß sein Leben sich jetzt rapide dem Ende näherte. Ein paar Monate blieben ihm noch. Im nächsten Sommer würde er sterben.
Er kannte genau den Tag.
An diesem Tag würde Lady Patricia ihm einen Sohn schenken. Und das Bewußtsein des Vaters würde in den neugeborenen Körper des Sohnes schlüpfen, um in ihm weiterzuleben. Der Sohn, der künftige Lord Rhett Saris ap Llewellyn, würde genau ein Jahr länger leben als sein Vater, und dann würde sich der Vorgang wiederholen. So geschah es seit vielen Jahrtausenden.
Es war die Erbfolge.
Und die bestand schon seit ewigen Zeiten.
Es hieß, der erste Llewellyn hätte noch den letzten Saurier gekannt, aber Sir Bryont hielt das nun doch für ein Märchen - denn immerhin kannte auch der derzeit letzte Llewellyn noch einen der letzten Saurier: das sogenannte »Ungeheuer« von Loch Ness, das alles andere als ein Ungeheuer war.
»Ich werde nicht verlorengehen«, sagte der Lord. »Die Träume, die mir Böses prophezeiten, sind schon lange nicht mehr wiedergekommen.«
»Aber erst vor ein paar Wochen hätte diese Dämonin Stygia dich um ein Haar getötet, wenn nicht unser Freund Professor Zamorra gerade noch rechtzeitig dazwischengekommen wäre!« [1]
»Sie wird es nicht so bald wieder versuchen, denke ich. Die Niederlage war ihr eine heilsame Lehre - und vermutlich nicht nur ihr. Sie dürfte auch anderen Dämonen ein abschreckendes Beispiel gewesen sein.«
»Du willst mich nur beruhigen«, sagte Patricia. »Ich halte es für sicherer, wenn du hier bleibst.«
Er schüttelte den Kopf. »Ich muß nach London. Noch bin ich als Mitglied des Oberhauses im britischen Parlament vertreten. Ein paar Monate lang kann ich noch mitreden und mitentscheiden, und eben das habe ich vor. Es gibt gerade in dieser stürmischen Zeit ein paar wichtige politische Probleme, die ich nicht einfach so dastehen lassen kann. Ich bin es«, er lächelte, »unter anderem auch unserem Sohn, also mir selbst schuldig. Noch mehr aber dem Volk von Schottland, Großbritannien und Europa.«
»Aber du bist doch nicht derjenige, dessen Ansicht die einzig wahre ist.«
»Nicht unbedingt«, gab er zu. »Aber ich halte sie für richtig, und viele andere auch. Vielleicht ist gerade meine Stimme das Zünglein an der Waage, das den Ausschlag gibt. Vielleicht brauchen sie gerade mich. Deshalb muß ich hin. Es geht um vieles mehr als früher, und ich bedaure, daß der Zeitpunkt des Generationswechsels ausgerechnet jetzt stattfindet. Zwanzig Jahre früher, das wäre besser gewesen. Aber leider kann ich das ja nicht beeinflussen…«
»Ruf Zamorra an, damit er dich begleitet. Er kann dich schützen«, verlangte Patricia. »Oder der Druide mit dem unaussprechlichen Namen, von dem du mir erzählt hast.«
»Gryf ap Llandrysgryf.« Saris lächelte erneut. »Ich denke, er würde dir den Kopf verdrehen. Vielleicht solltest du dich speziell seiner Obhut an vertrauen, wenn es mich nicht mehr gibt. Er hat seine Qualitäten - auf sehr vielen Gebieten.«
»Ich habe dich geheiratet, Bryont, nicht ihn. Außerdem bezweifle ich, daß er sich so einfach von dir an mich verkuppeln ließe.«
»Du wirst nicht auf alle Zeiten eine einsame Witwe bleiben wollen«, sagte Saris. »Dazu bist du zu jung. Du nimmst mit der Erbfolge schon genug auf dich. Und selbst wenn ich in zwanzig Jahren«, er hüstelte, »wieder im heiratsfähigen Alter bin, werden wir nicht mehr Zusammenkommen -denn dann, Patricia, bin ich dein Sohn, nicht mehr dein Mann.«
Sie nickte. »Ich liebe die Seele, nicht den Körper, du zerknitterter Greis.« Und sie beugte sich zu ihm herüber und küßte ihn.
Das Kaminfeuer knisterte und drohte zu erlöschen. Saris wollte sich erheben, um ein paar Scheite nachzulegen - Butler William genoß längst seinen verdienten Feierabend. Aber Patricia hielt ihn zurück. »Laß es erlöschen«, sagte sie leise. »Für heute hat es lange genug gebrannt. Flieg nicht nach London. Denk auch an andere Risiken. Es muß nicht einmal ein Dämon sein, der dir nach dem Leben trachtet. Eine IRA-Bombe in den
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