Tod im Palazzo
Abschlußbericht für den Staatsanwalt zu schreiben.«
»Ach so.«
Seine Stimme war jetzt weniger kühl. »Er übt sicher einigen Druck auf Sie aus.«
»Ja. Aber das macht nichts.«
»Also, wenn Sie irgendwelche Hilfe brauchen…«
»Vielen Dank.«
Aber er wiederholte: »Das macht nichts.«
»Wie Sie wollen. Übrigens, wir müssen diesen Menschen bestellen, den alle Grillo nennen. Können Sie mir seinen genauen Namen sagen?«
»Ja, einen Moment.«
Er mußte in seinem Notizbuch nachschauen. »Filippo Brunetti.« Er ließ das Notizbuch vor sich liegen, nachdem er eingehängt hatte. Grillo sollte also als Zeuge über das Verhältnis zwischen Catherine Yorke und Leo Mori vernommen werden. Früher wäre das eine ziemlich sichere Sache gewesen, aber jetzt… Am24.Junigegen21.45UhrwurdeimLaufeder Überprüfung… Filippo Brunetti… Es muß einmal eine Zeit gegeben haben, als man Filippo zu ihm sagte. Seine Mutter vielleicht, wenn er sie gekannt hat. Ehe er einfach Grillo wurde, bloß ein Zwerg.
Der Wachtmeister hatte ihn an jenem Abend auf der Wendeltreppe gefunden, unmittelbar nachdem er auch in Williams Wohnung gekommen war. Er wußte, daß er zu Neri hinaufgehen und ihn besuchen mußte, aber Grillo blockierte den Weg, und der Wachtmeister hatte dagestanden und über den Anblick gestaunt. Drei Stufen weiter hatte der Zwerg ein Tablett abgestellt, das größtenteils mit einem Tuch abgedeckt war. Grillo hievte sich an dem starken Seil mühsam zwei hohe Steinstufen hinauf, hielt an, um einen Moment tief Luft zu holen, und wuchtete dann das Tablett drei Stufen höher. Wieder eine Pause, um Luft zu holen, und wieder der Griff nach dem Seil.
»Kann ich Ihnen helfen?«
Der Zwerg hatte vor lauter Anstrengung den Wachtmeister nicht kommen hören. Er warf den Kopf herum, hielt sich noch immer an dem Seil fest, reagierte aber nicht, sondern preßte sich nur an die Wand, um den Wachtmeister vorbeizulassen. So gut es ging, zwängte Guarnaccia sich an ihm vorbei, bemüht, den Zwerg nicht anzurempeln, aber ganz ließ es sich nicht vermeiden. Er erwartete eine neunmalkluge Bemerkung über seinen Körperumfang, doch es kam nichts.
Der Zwerg sagte nur: »Seien Sie vorsichtig!«, als der Wachtmeister mit Hilfe des Seils zwei Stufen auf einmal nahm, um über das Tablett zu steigen. Doch es war nicht der Wachtmeister, dem seine Sorge galt.
»Er hat seit Tagen nichts gegessen. Ich habe ihm eine Suppe gemacht. Vielleicht bringt er sie runter…«
Und damit setzte er seinen mühsamen Aufstieg fort.
In dieser Nacht war der Turm genauso still wie der Innenhof. Keine Flöte. Nicht das leiseste Geräusch. Als der Wachtmeister das Zimmer betrat, fand er Neris Stuhl leer vor. Er ging wieder hinaus zur Treppe. Weit unter ihm zeigte der Zwerg, noch immer bei seinem mühsamen Aufstieg, mit dem Finger weiter hoch. Der Wachtmeister stieg noch ein Stockwerk höher. Dort fand er nur ein Badezimmer und einen Raum, der wie ein Ankleidezimmer aussah, obwohl in dem Halbdunkel nicht viel zu erkennen war. Noch ein Stockwerk höher befand sich das Schlafzimmer.
Neri lag angekleidet auf dem Bett, bedeckt von einem dünnen Morgenmantel. Die Fensterläden waren geöffnet, und hier, oberhalb des Dachs des Palazzo, war etwas mehr Licht, das diffuse Zartrosa einer sommerlichen Abenddämmerung. Neri schlief. Kein natürlicher Schlaf, wie der Wachtmeister fand, sondern auf Tabletten zurückzuführen. Neris Gesicht war gerötet, und dünner Speichel rann aus dem Winkel seines geöffneten Mundes, dort wo er das Kissen berührte. Der Wachtmeister hatte Sterbende so schlafen sehen, denen man Morphium gegen ihre Schmerzen gegeben hatte. Entspannt daliegend. Nur Kleinkinder schlafen von Natur aus so. Der Wachtmeister setzte sich leise ans Bett und wartete. In der Stille hörte er auf Neris Atem. Das Luftholen schien ihn anzustrengen.
Eine Pause dann, als hätte er zuviel Kraft angewendet, und unter leise sprudelndem Schnarchen fielen die Lungen zusammen.
Das einzige Geräusch war der Zwerg, der sich langsam auf der Treppe nach oben arbeitete. Eins zwei, eins zwei, Pause. Das Klappern des Tabletts. Eins zwei, eins zwei, Pause… Neri hielt den Atem an. Nichts, was von außen kam. Er träumte. Sein Kopf auf dem Kissen bewegte sich langsam von einer Seite zur anderen, dann schneller, jede Bewegung begleitet von einem kurzen Stöhnen. Er bewegte sich immer heftiger, der Protest wurde immer deutlicher.
»Nein. Nein. Nein. Nein. Ich tue das nicht. Ich tu das
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