Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tod im Palazzo

Tod im Palazzo

Titel: Tod im Palazzo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Magdalen Nabb
Vom Netzwerk:
nicht. Nein. Nein. Ich tu das nicht.«
    »Wecken Sie ihn!«
    Der Zwerg war im Zimmer. Er stellte das Tablett ab, wackelte mit den kurzen Beinen auf das Bett zu und packte Neris Arm.
    »Wach auf! Kannst du mich hören? Wach auf!«
    Neri schlug die Augen auf. Sie richteten sich auf das Gesicht des Zwergs über ihm, und sofort schossen Tränen über seine geröteten Wangen.
    »Du hast versprochen, mich nicht einschlafen zu lassen, Grillo, du hast es mir versprochen. Du darfst mich nicht wieder einschlafen lassen, hörst du, du darfst es nicht.«
    »Psst. Ich mußte dir etwas Essen holen.«
    Er konnte ihn bis jetzt kaum gesehen haben, da Grillo ihm den Blick versperrte, aber jetzt trat er beiseite.
    Beim Anblick der großen, ruhigen Gestalt des Wachtmeisters zeigte sich ein Hoffnungsschimmer in Neris Augen. Sein Kopf hatte einen verschwitzten Abdruck auf dem Kissen hinterlassen.
    »Sie sind gekommen, um mit mir zu sprechen. Sie werden mir helfen, wachzubleiben. Die Ärzte verstehen nichts. Sie sagen, ich muß schlafen, aber ich muß unter allen Umständen wachbleiben…«
    Er versuchte, sich in eine sitzende Haltung emporzustemmen, war aber zu schwach. Der Wachtmeister trat hinzu, um zu helfen, doch der Zwerg kam ihm zuvor.
    »Danke.«
    »Danke mir, indem du die Suppe ißt.«
    »Ich werd's versuchen. Laß mich jetzt mit dem Wachtmeister allein – aber bleib in der Nähe.«
    »Ich werde ein Stockwerk weiter unten sein, da kann ich dich hören.«
    Beim Hinausgehen warf er dem Wachtmeister einen wütenden Blick zu, offensichtlich überzeugt davon, daß seine Anwesenheit dem Verzehr der Suppe hinderlich sei.
    Ob aus diesem Grund oder einem anderen Grund, Neri aß nichts, obwohl er sich bemühte, und schließlich bat er den Wachtmeister, das Tablett draußen vor der Tür abzustellen.
    »Schon beim Geruch von Essen wird mir schlecht.«
    Als der Wachtmeister wieder zurückkam, sagte er: »Setzen Sie sich dorthin, wo Sie eben gesessen haben. Ich bin froh, daß Sie hier sind.«
    Das hatte William auch gesagt, aber wie konnte er ihn trösten? Welchen Trost konnte er diesem gealterten, von Alpträumen gequälten Vierundzwanzigjährigen spenden, der ohnehin wußte, daß er sterbenskrank war?
    »Solange Sie hier sind, kann ich mit Ihnen reden, wissen Sie, und wachbleiben. Diese Alpträume… Sie können sich nicht vorstellen… Aber nie passierte etwas, nichts Schreckliches, so daß Grillo immer lacht, wenn ich ihm davon erzähle. Natürlich lacht er, um mich aufzuheitern… und manchmal lache ich auch. Aber sobald ich die Augen wieder zumache, sind sie wieder da und warten auf mich. Sobald ich die Augen zumache…«
    »Wer sind sie?«
    »Ich weiß nicht genau. Ich kann ihre Gesichter nicht sehen, aber es sind Leute, die ich kenne, oder Leute, die mich kennen, und sie geben mir eine Schachtel, eine schmale, längliche Schachtel und erwarten… sie erwarten von mir…«
    Der Schweiß tropfte ihm von der Stirn, und er packte den Arm des Wachtmeisters. »Ich darf nicht wieder einschlafen, um Gottes willen, Sie müssen es verhindern!«
    »Ganz ruhig, ich werd's schon verhindern!«
    »Ich werde aufstehen.«
    »Sind Sie sicher, daß Sie es schaffen…«
    »Es geht vorbei. Ich bekomme Beruhigungsmittel, verstehen Sie, die machen mich hilflos, und die Alpträume überwältigen mich. Jetzt läßt es nach. Helfen Sie mir, aufzustehen.«
    Mit oder ohne Hilfe, er war fest entschlossen, aufzustehen, und so half ihm der Wachtmeister. Neris Lippen hatten eine leicht bläuliche Färbung, die ihn erschreckte.
    »Hier. Nehmen Sie meinen Stuhl, ich hole mir einen anderen.«
    »Danke. Wie gut Sie zu mir sind. Kommen Sie näher.
    Es ist merkwürdig. Alle sind freundlich zu mir, aber die Leute in den Alpträumen sind grausam und hart.«
    »Was wollen sie denn von Ihnen?«
    »Sie geben mir die Schachtel… Sie geben mir die Schachtel, und ich muß einen spitzen Gegenstand hineinstechen. Das ist alles. Sie sagen nichts, aber ich weiß, daß ich es tun muß, aber ich werde es nicht tun. Ich weiß, es klingt blöd. Wovor ich soviel Angst habe, ist… wenn es weitergeht, jedesmal, wenn ich die Augen schließe, daß ich dann klein beigebe und dann… ich füge mich und…«
    »Lassen Sie diese Gedanken! Es ist alles vorbei. Deshalb bin ich gekommen, um Ihnen das zu sagen.«
    Das stimmte nicht. Es war zwar vorbei, aber was konnte er Neri sagen?
    Der ganze Raum war erfüllt von dem zarten Rosa der untergehenden Sonne. Bald würde es dunkel sein. Dem Wachtmeister

Weitere Kostenlose Bücher