Tod im Staub
unbehaglich. Ich war von früher her an weite, freie Flächen und Räume gewöhnt. Der Doktor hatte jedoch nur das Leben in der Stadt gekannt, bevor er die einfache Arbeit auf der Trieste Star übernahm, weil er für das hektische Treiben der Stadt zu alt geworden war. Während der langen Zeit, die ich als Zwangsarbeiter auf dem Land verbringen mußte, war mir der Begriff des von Menschenhand geschaffenen freien Raums vertraut geworden. Nicht daß ich mich nach jenen vergifteten Feldern zurückgesehnt hätte - nein, so ein Laderaum war es, der mir gefiel, eine Fläche, die leicht zu übersehen, zu beherrschen und ziemlich sauber war, und über die ich Verfügungsgewalt hatte.
Sorgfältig sah ich mich um; einmal hatte ich hier unten die Gestalt getroffen, und beim Gedanken daran schlägt mein Herz immer noch schneller; welches Vergnügen bereitet es doch, das Hämmern des eigenen Herzschlags einfach zu ignorieren, besonders an solchen Tagen, an denen man sich nicht allzu krank fühlt.
»Kommen Sie raus, wenn Sie fertig sind«, sagte Thunderpeck vom Laufsteg her. Er litt unter Platzangst; das ist eine der vielen Krankheiten, die man in den entsetzlich überfüllten Städten bekommen kann. Über Thunderpeck lief das Gerücht um - ich habe seinen Wahrheitsgehalt nie nachgeprüft, weil mir die Geschichte soviel Spaß machte -, daß er einmal, als ihm plötzlich bewußt wurde, daß er mitten in einem leeren Laderaum stand, ohnmächtig umgefallen sei.
Als wir später auf dem Laufsteg weitergingen, sagte ich: »Es ist wirklich eine Schande, Doc, daß all diese Laderäume leer sind und das ganze Schiff veraltet ist.« Das war mein üblicher Kommentar, und er gab seine Standardantwort.
»Nun, das bringt eben der Fortschritt mit sich, Knowle.«
Aber ich schweife ab. Fangen wir noch einmal von vorn an. Welch ein Gefängnis können Worte doch sein! Sie füllen das Innere ganz aus, man lebt in ihnen und außerhalb von ihnen, und sie ziehen sich wie Fesselringe rund um das Universum. Wahrscheinlich wurde die Sprache erfunden, daß sie uns eine Hilfe sei. Ich persönlich kann nur sagen, daß ich mich als Gefangener auf dem Land freier fühle. Die schneidende Kälte des Winters. Das Gewicht des Bettzeugs in jenen dunklen Nächten, wenn man alles, was man besaß, am Körper trug oder über und um sich schichtete. Der Gestank der im fahlblauen Morgengrauen kaum sichtbaren Auspuffgase der Traktoren. Es liegt nicht daran, daß die Worte nicht auf all diese Dinge passen, sondern daran, daß sie eine andere, eigene Wirklichkeit ausdrücken, wenn man sie hinschreibt. Aber wer bin ich schon, daß ich das sagen darf?
Das eine will ich doch sagen: In diesem großartigen und schrecklichen Jahr bin ich in diesem Teil der Welt sicherlich der einzige Mensch, der den Versuch macht, irgendeinen Bericht über irgend etwas zu schreiben.
Jetzt begreife ich, weshalb man Dinge wie zum Beispiel das Schreiben und die Zivilisation - damit meine ich die Kultur und die Grenzen, die sie auferlegt - aufgegeben hat: Sie waren zu schwierig.
Ich heiße Knowle Noland; in jener Zeit, an die ich mich zu erinnern und über die ich zu berichten versuche, war ich jung, ohne Frau, krank und Kapitän, wie man es nannte, des 80.000-Tonnen-Frachters Trieste Star , des schönsten Schiffes der Star-Linie . Und heute - mein jetziges Ich, obwohl ich nicht wissen kann, von wem, wo und wann jemals dieser Bericht gelesen wird - bin ich immer noch Noland, hager und mit alterssteifen Gelenken, aber mit ziemlich klarem Verstand, einer liebevollen Frau an meiner Seite, ohne Nachkommen, stolz und voller Mißtrauen - letzteres war ich schon auf der Trieste Star. Aber jetzt gibt es dafür gute Gründe, und ich kenne diese Gründe. Ich habe viel erlebt; mögen mir meine Erfahrungen helfen, diese Geschichte zu berichten.
Also, an dem Tag, an dem der Tote kam, gingen Thunderpeck und ich wie üblich durch das Schiff, und vielleicht sollte ich mir gar nicht die Mühe machen, mich genau an das zu erinnern, was wir sprachen. Unsere Unterhaltungen verliefen immer in denselben Bahnen.
»Das bringt eben der Fortschritt mit sich, Knowle«, sagte er. Er sagte das oft, denn er haßte den Fortschritt, und alles, was er sonst noch verabscheute, schrieb er gleichfalls dem Fortschritt zu. Bevor ich erkannt hatte, wie tief verwurzelt diese seine Abneigung war, hatte ich seine Einstellung für sehr vernünftig gehalten; aber jetzt bin ich so weit, daß ich ihn für einen Narren halte. Ich meine,
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