Tod im Staub
zwischen Leichen. Aber sein Lächeln - nein, die Welt drehte sich rasend -, sein Lächeln stank, und wo die Augen waren ... Die absonderliche Klarheit meines Blicks ließ mich in kleine, runde Krater versinken, wo sich Würmer, so schneeweiß und zart geformt, durch ein schmutziges Gewebe wanden. In dieser Sekunde zerriß das Gewebe meines Bewußtseins.
Als es sich langsam wieder zusammenfügte, lag ich auf dem Deck. Bevor ich die Augen öffnen konnte, fühlte ich die Wärme des Bodens unter mir und die Hitze der Sonnenstrahlen auf dem Genick. Mühselig richtete ich mich auf. Neben mir lag, schrecklich in seinem ewigen Schlummer gähnend, der Kadaver, den Di Skumpsby und ich in den Kasten gepfercht hatten, immer noch mit dem Antigravgerät auf dem Rücken. Anscheinend hatte ich bei meinem Angriff, als ich den Farmer vor mir zu sehen glaubte, die Energiezufuhr abgeschaltet. Ich dankte dem Himmel, daß die Wahnvorstellungen so kurz gedauert hatten. Manchmal bleibe ich während einer Migräneattacke stundenlang in jenem Abgrund liegen. Das heißt, ich blieb. Ich war geblieben, bin geblieben ... Ich sehe, ich bringe schon die Zeiten durcheinander. Ja, es ist lange her.
Ich blinzelte über die grün angestrichenen Gerätschaften auf Deck und sah Di Skumpsby herankommen. Er stand an der Reling und starrte über das Meer. Vielleicht wartete er darauf, daß sich noch ein Leichnam in seine Arme warf.
Ich ignorierte das Hämmern in meinem Schädel und wandte mich zu dem Ding neben mir. Es sah aus, als ob Thunderpecks Diagnose richtig gewesen wäre: Der Mann war alt und trug an einer dickgeäderten Hand einen dünnen Ring. Er war gut gekleidet. Ich überlegte, wer er wohl gewesen sein mochte, dieses armselige, alte Gestell, das sich ausgerechnet einen Landwind ausgesucht hatte, in den es seinen letzten Seufzer hauchte. Ich wandte den Blick von seinem Gesicht ab, während ich in seine Jacke griff und die Innentasche abtastete. Ich fand eine Brieftasche und ein dünnes Bündel Briefe, von einem Gummiband zusammengehalten.
Ich steckte beides ein.
Unter dem rechten Arm der Leiche sah ich einen roten Schaltknopf, der zu dem Antigravgerät gehörte. Ich schob ihn vorsichtig nach oben. Sofort ertönte ein leises, stetiges Summen, das unter den Schiffsgeräuschen kaum herauszuhören war; gleichzeitig begann der Kadaver sich zu bewegen und aufzurichten. Ich hielt ihn sorgfältig fest, manövrierte ihn in den Kasten zurück und verschloß ihn. Dann ging ich in meine Kabine, um mir die Briefe anzusehen.
2
Beim Mittagessen stand ich noch immer im Bann der Briefe. Das Essen bestand aus dem üblichen, scharf gewürzten Zeug; das Aroma war künstlich, und alles war mit Konservierungsmitteln durchtränkt. Da sämtliche Nahrungsmittel von vornherein chemisch gezüchtet wurden, war das gesamte Menü künstlich wie immer. Deshalb schluckte ich hinterher zwei Vitaminkapseln, um etwas für meinen Stoffwechsel zu tun. Mein Stoffwechsel war nämlich immer noch etwas gestört; trotz des Beruhigungsmittels, das Thunderpeck mir gegeben hatte, war es mir nicht möglich gewesen einzuschlafen, so sehr faszinierten mich die Briefe, die ich bei dem Toten gefunden hatte.
Es waren insgesamt nur sechs. Sechs Briefe und ein Telegramm. Sie stammten alle von einem Mädchen namens Justine. Es waren Liebesbriefe.
Na ja, eigentlich nicht nur Liebesbriefe. Es stand auch eine Menge über Politik darin und über die verschiedenen Nationen Afrikas. Ich habe noch nie etwas von Politik verstanden und schon gar nichts von den komplizierten Verhältnissen in Afrika. Ich überschlug diese Stellen.
In jener Zeit lebten alle Nationen in Frieden miteinander. So sehr man unser freudlos nüchternes Gesellschaftssystem auch verurteilen mochte, es war sehr viel wert, Frieden zu haben, das sagte ich immer wieder. Seit einigen Jahren sprach man ständig darüber, daß es zwischen den Völkern Afrikas zum Krieg kommen würde, jenen tatkräftigen, jungen Nationen, deren Technologien oft die Europas und Amerikas übertrafen; aber dann war ein starker Mann, Sayed Abdul el Mahasset, Präsident von Afrika geworden und hatte den von ihm regierten Nationen vorübergehend einen unsicheren Frieden gebracht.
Ich erwähne das hier, weil es später eine bedeutende Rolle spielen wird. Aber als ich damals jene fremden Briefe las, ignorierte ich alles, was sie über die innerafrikanischen Verhältnisse enthielten, weil ich so fieberhaft nach irgendwelchen persönlichen
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