Tod im Tal der Heiden
sah sich sofort nach einer Deckung um. Es gab keine.
Fidelma parierte ihr Pferd und wartete, locker im Sattel sitzend, auf das Erscheinen der Reiter. Sie befahl ihm kurz, sich genauso zu verhalten.
Gleich darauf stürmte eine Schar von ungefähr zwanzig Kriegern aus der Schlucht heraus auf die Ebene gerade vor ihnen. Ihre Anführerin, eine schlanke Gestalt, erblickte sie sofort und preschte ohne Zögern an der Spitze der Kolonne in scharfem Tempo dicht an sie heran. Dann parierten alle wie auf ein unsichtbares Zeichen hin ihre Pferde, und die kamen, schnaubend und einige ärgerlich wiehernd, in einer Wolke von Staub zum Stehen.
Fidelma musterte die Reiterin mit zusammengekniffenen Augen. Es war eine schmächtig gebaute Frau von etwa dreißig Jahren. Dunkles, fast schwarzes Haar fiel ihr in dichten Locken auf die Schultern, von einem schmalen geflochtenenSilberreif um die Stirn gehalten. Sie trug einen Mantel, eine lange Scheide mit einem gut gearbeiteten Schwert und an der rechten Seite einen reich verzierten Dolch. Ihr Gesicht war leicht gerundet, fast herzförmig und nicht unschön. Der Mund war voll und rot, der Teint blaß, die Augen waren dunkel. Sie blitzten herausfordernd.
»Fremde!« Ihre Stimme war rauh und paßte nicht zu ihrer Erscheinung. »Und noch dazu Christen. Das sehe ich an eurer Kleidung. Ich sage euch, ihr seid in diesem Lande nicht willkommen!«
Fidelmas Mund wurde schmal bei dieser unhöflichen Begrüßung.
»Der König dieses Landes wäre nicht erfreut, wenn er hörte, ich wäre hier nicht willkommen«, erwiderte sie sanft.
Nur Eadulf spürte den unterdrückten Zorn in ihrem ruhigen Ton.
Die dunkelhaarige Frau zog leicht die Brauen zusammen.
»Das glaube ich nicht, Frau des Gottes Christus. Du sprichst mit seiner Schwester.«
Fidelma machte ein spöttisch zweifelndes Gesicht.
»Du behauptest, du wärst die Schwester des Königs dieses Landes?« fragte sie ungläubig.
»Ich bin Orla, die Schwester von Laisre, der über dieses Land herrscht.«
»Ach so.« Fidelma begriff, daß die Frau den Titel König anders interpretiert hatte. »Ich spreche nicht von Laisre, dem
Fürsten
von Gleann Geis; ich spreche vom König von Cashel, vor dem Laisre niederknien muß.«
»Cashel ist weit von hier«, gab die Frau verärgert zurück.
»Aber Cashel reicht weit, und es übt Gerechtigkeit bis in alle Enden des Königreichs.«
Fidelma sprach mit einer ruhigen Festigkeit, die Orla stutzig machte. Sie war es anscheinend nicht gewohnt, daß ihr jemand mit Zuversicht und auf gleicher Rangstufe entgegentrat.
»Wer bist du, Frau, daß du so unbesorgt in Laisres Land reitest?« Ihre dunklen Augen funkelten Eadulf böse an, der gelassen im Sattel saß. »Und wer bist du, daß du es wagst, einen fremden Geistlichen in dieses Land zu bringen?«
Ein stämmiger Krieger schob sein Pferd aus der Kolonne nach vorn. Er war ein häßlicher Kerl mit einem buschigen schwarzen Bart und der Narbe einer alten Wunde über einem Auge.
»Lady, du brauchst diese Leute, die die weibische Kleidung ihrer fremden Religion tragen, nicht weiter zu fragen. Sie sollen verschwinden, oder ich mache ihnen Beine.«
Orla warf dem Krieger einen zornigen Blick zu.
»Wenn ich deinen Rat brauche, Artgal, dann frage ich dich danach.« Nach dieser Abfuhr wandte sie sich wieder Fidelma zu. Ihre feindselige Miene hatte sich nicht verändert. »Sprich, Frau, und erkläre mir, wer es wagt, die Schwester des Fürsten von Gleann Geis über die Pflichten ihres Bruders zu belehren.«
»Ich bin Fidelma … Fidelma von Cashel.«
Absichtlich oder zufällig machte Fidelma eine Bewegung im Sattel, durch die die in den Falten ihres Gewandes verborgene Goldene Kette herausglitt und im Sonnenlicht glitzerte. Orlas dunkle Augen weiteten sich, als sie sie erkannte.
»Fidelma von Cashel?« wiederholte Orla zögernd. »Fi delma , die Schwester von Colgú, dem König von Muman?«
Fidelma gab keine Antwort, in der Annahme, daß Orla sie ohnehin wüßte.
»Dein Bruder Laisre erwartet mich als Abgesandte von Cashel«, fuhr sie fort, als sei ihr die Reaktion auf ihre Worte gleichgültig. Sie langte in ihre Satteltasche und nahm den weißen Stab mit dem goldenen Hirsch darauf heraus, das Zeichen ihrer Gesandtschaft vom König von Cashel.
Es trat eine Pause ein, in der Orla ihn wie gebannt anstarrte.
»Nimmst du den weißen Stab an oder wählst du das Schwert?« fragte Fidelma mit dem Anflug eines Lächelns. Abgesandte, die in ein feindliches Land kamen,
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