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Tod in Breslau

Tod in Breslau

Titel: Tod in Breslau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marek Krajewski
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VATERMÖRDER ZU ZWEI JAHREN GEFÄNGNIS
    VERURTEILT

    Nach einem beinahe viermonatigen Prozess wurde der ehemalige Polizeiassistent Herbert Anwaldt zu zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Nach Abbüßen der Strafe soll der geistesgestörte Täter, der seinen Vater, Baron Olivier von der Malten, tötete, in eine psychiatrische Anstalt überwiesen werden. Das milde Urteil wurde vom Gericht mit dem himmelschreienden Unrecht begründet, das der stadtbekannte Aristokrat und Liberale, der sich stets in der Öffentlichkeit für karitative Zwecke eingesetzt hatte, dem Ange-klagten zugefügt habe, indem er ihn in einem Waisenhaus aufziehen ließ. Diese Diskrepanz zwischen moralischem Auftreten und der verwerflichen Haltung des Barons, seine ruchlose und schändliche Verhaltensweise, erschienen dem Gericht teilweise als Rechtfertigung des Verbrechens, bei dem es sich wohl um eine Affekt-handlung des nervenkranken Anwaldt gehandelt habe …

    336
    »Breslauer Zeitung« vom 17. Dezember 1934:
    ABSCHIED DES DIREKTORS DER KRIMINALABTEILUNG
    DER BRESLAUER POLIZEI EBERHARD MOCK.
    DER VERDIENTE POLIZIST WECHSELT ZU EINER
    ANDEREN STAATLICHEN STELLE.

    Heute fand im Breslauer Polizeipräsidium die feierliche Verab-schiedung Eberhard Mocks mit Marschmusik des Garnisonsor-
    chesters statt: Der Beamte, bisher Chef der Kriminalabteilung, wird jedoch weiterhin dem Staat dienen – allerdings an anderer Stelle. Er schied gerührt aus der Institution, mit der er seit seiner Jugend eng verbunden war. Aus nicht offizieller Quelle wurde ver-lautbart, dass er die Stadt, der er so viel verdankt, jedoch nicht verlassen wird …

    »Schlesische Tageszeitung« vom 18. September 1936. Seite 1
    DER RÄCHER WIRD ENTLASSEN

    Zahlreiche Breslauer warteten heute vor dem Gefängnis in der Kletschaustraße auf die Entlassung von Herbert Anwaldt, der vor zwei Jahren an seinem Vater, dem Freimaurer Olivier von der Malten, einen denkwürdigen Rachemord begangen hatte. Einige der Schaulustigen hatten zur Begrüßung Anwaldts Transparente mitgebracht, deren Parolen sich gegen die Freimaurer lichteten.
    Es ist erfreulich, dass die Bewohner unserer Stadt bereits vor zwei Jahren so lebhaft gegen die offensichtliche Ungerechtigkeit reagiert haben, die der Richter, ein verkappter Freimaurer, zu verantworten hat, indem er diesen aufrechten Menschen zu einer Ge-fängnisstrafe von zwei Jahren verurteilte.
    Anwaldt verließ das Gebäude um zwölf Uhr und wurde – wie
    wir in Erfahrung bringen konnten – unverzüglich in einem bereit-gestellten Wagen in eine Klinik überstellt, wo er laut Urteil zwangshospitalisiert wird. Dieses Urteil muss widerrufen werden!
    337
    Wer gegen die Freimaurer vorgeht, verdient eine Medaille – kei-nesfalls jedoch, in eine psychiatrische Anstalt eingewiesen zu werden. Mit seiner Tat hat Anwaldt seine beispiellose Einsicht bewie-sen. Ihr luden und Freimaurer! Macht aus diesem wackeren Deutschen keinen Wahnsinnigen!
    XVII
    Breslau, 12. Oktober 1934.
    Zehn Uhr morgens

    Das monströse, moderne Bürogebäude an der Ecke zwi-
    schen Markt und Blücherplatz, in dem sich die Direktio-
    nen vieler städtischer Behörden sowie eine Bank befan-
    den, war mit einem Aufzug besonderer Art ausgestattet:
    Dieser bestand aus vielen kleinen Einzelkabinen, die tür-
    los hintereinander aufgereiht und ununterbrochen in
    langsamer Bewegung waren. Die Menschen mussten
    während der Fahrt ein- und aussteigen, und wenn je-
    mand nicht aufgepasst und den Ausstieg versäumt hatte,
    konnte er, ohne irgendetwas befürchten zu müssen, die
    ganze Schleife über den Dachboden oder durch den Kel-
    ler fahren, bis er sein Stockwerk abermals erreichte. Das
    war für jeden Passagier ein unvergessliches Erlebnis: In
    der Kabine wurde es stockfinster, sie bewegte sich rum-
    pelnd und knirschend mithilfe einer komplizierten Ket-
    tenkonstruktion weiter, bis sie wieder im gewünschten
    Geschoss angekommen war.
    Der »Paternoster« hatte gleich nach der Errichtung des
    grässlichen Eisenbetongebäudes Neugier geweckt. Be-
    sonders die Kinder, welche die schmutzigen Straßen und
    339
    heruntergekommenen Höfe der nächsten Umgebung be-
    völkerten und nichts anderes im Kopf zu haben schienen,
    als den Pedell an der Nase herumzuführen, fühlten sich
    von ihm magisch angezogen.
    Der Hauswart Hans Barwick war an diesem Tage be-
    sonders wachsam, da einige Lausbuben bereits seit dem
    frühen Morgen versucht hatten, die aufregende Reise
    zwischen Dachboden und Keller über alle

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