Tod in Breslau
Polizist, da kann er gleich bei den
Untersuchungen zum Mord an seiner Schwester mitar-
beiten. Über die Familienverhältnisse kann ich ihn dann
immer noch aufklären, um ihn eventuell ein wenig zu
motivieren – war es nicht so? Wenn man sein Gewissen
beruhigen kann – schön und gut –, aber wenn das noch
einen praktischen Vorteil bringt … War es immer so, bei
den von der Maltens?«
»Das, was Sie einen praktischen Vorteil nennen«, der Ba-
ron warf einen blasierten Blick auf seine Ahnengalerie, »das würde ich treffender als Familienstolz bezeichnen. Ich habe Sie kommen lassen, damit Sie den Mörder Ihrer Schwester
zu fassen kriegen und diesen abscheulichen Mord rächen.
Als Bruder wären Sie vollauf dazu berechtigt.«
Anwaldt nahm seine Pistole aus der Tasche, entsicher-
te sie und zielte auf das erste der Gemälde. Er drückte ab.
Das Projektil bohrte sich mit einem trockenen Knall in
das Porträt. Anwaldt begann fieberhaft seine Taschen zu
durchsuchen. Der Baron packte ihn am Arm, zog aber
seine Hand sofort wieder zurück. Der Polizist sah ihn mit
getrübtem Blick an.
»Ich halte es nicht aus … die Rache … wie ein deut-
scher Yezide …«
Der Baron straffte seinen ganzen Körper und nahm ei-
ne aufrechte Haltung an. Noch immer standen sie sich in
dem gedämpften, orangefarbenen Licht gegenüber.
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»Ich möchte Sie bitten, vernünftig zu sein. Lassen Sie
mich ausreden. Ich habe von Familienstolz gesprochen.
Er hat bei uns eine jahrhundertelange Tradition und hat
sich aus den Heldentaten unserer Vorfahren entwickelt.
Das alles könnte mit einem Mal nicht mehr sein. Mein
Tod würde das Ende unseres Geschlechts bedeuten, denn
der letzte Spross unseres schlesischen Stammbaums, das
bin ich.« Er packte Anwaldt an der Schulter und drehte
ihn so, dass er direkt in von der Maltens einstmals edles
und nun so verwüstetes Gesicht blicken musste. »Doch
unser Geschlecht wird weiterexistieren, und zwar in der
Person Herbert von der Malten.«
Plötzlich ergriff er das Schwert mit den elfenbeinernen
Intarsienarbeiten und dem goldenen Griff, das neben ihm
an der Wand hing. Die Klinge wies einige Scharten auf.
Er hielt es mit ausgestreckten Armen und trat zu An-
waldt. Eine Zeit lang sah er ihn fest an, er versuchte seine Rührung zu verbergen und sich männlich und ritterlich
zu geben.
»Mein Sohn, vergib mir!« Er senkte den Kopf. »Alles,
was du hier siehst – du wirst es erben! Nimm unser Wap-
pen und unser geheiligtes Familiensymbol – das Schwert
unseres Urahnen Bolesław von der Malten, Ritter im
Dreißigjährigen Krieg. Durchbohre damit das Herz des
Mörders! Räche deine Schwester!«
Anwaldt nahm das Schwert feierlich entgegen. Er
stand breitbeinig da und neigte den Kopf, als ob er nun
erwartete, zum Ritter geschlagen zu werden. Seinem
Mund entfuhr ein dünnes, zittriges Kichern.
»Lieber Herr Vater, dein Pathos kommt mir einiger-
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maßen lächerlich vor. Haben die von der Maltens alle in
diesem salbungsvollen Ton gesprochen? Ich werde dir
ganz schlicht antworten: Ich heiße Herbert Anwaldt und
ich pfeife auf eure ehrenvolle Ahnengalerie, deren krö-
nender Abschluss du bist. Ja, du! Denn ich werde meinen
eigenen Stammbaum beginnen, ich, der Bankert eines
polnischen Dienstmädchens und eines unbekannten Va-
ters. Nach sieben Jahrhunderten wird niemand mehr et-
was davon wissen, denn es werden sich ein paar Chroni-
sten finden, die für entsprechendes Entgelt die Lebens-
läufe ein wenig frisieren. Aber um mein eigenes Ge-
schlecht zu gründen, muss ich am Leben bleiben. Und
mein Leben ist gleichzeitig der Tod des Geschlechtes der
von der Maltens. Mein Leben wird aus eurer Asche neu
erstehen. Ist das nicht eine schöne Metapher?«
Anwaldt hob das Schwert und schlug zu. Die Kopfhaut
des Barons platzte auf, der blanke Schädelknochen kam
zum Vorschein, und ein Blutschwall ergoss sich über sein
Gesicht. Der Baron stürzte mit einem Aufschrei auf die
Treppe: »Polizei!«
»Ich bin von der Polizei.« Anwaldt folgte seinem Vater
ein paar Stufen. Von der Malten stolperte und fiel. Er
spürte plötzlich wieder das feuchte Bettzeug in der
Schwüle des Dienstbotenzimmers. Auf dem beigefarbe-
nen Treppenläufer breiteten sich dunkle Blutflecken aus.
Seine lächerlichen Hosenbänder hingen aus dem Schlaf-
rock, die eleganten Lederpantoffeln hatte er verloren.
»Ich flehe dich an, bring mich nicht um … Du kommst
ins Gefängnis …
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