Tod in der Königsburg
herausfinden«, antwortete sie ruhig. »Mein Bruder hat mir dieselbe Frage gestellt.«
Einige Zeit später erreichten sie auf dem Weg, den Fidelma sie geführt hatte, Cashel. Fidelma ließ Eadulf und Bruder Mochta am Rande der Stadt im Schutz eines kleinen Gehölzes zurück, mit der Begründung, sie wolle voranreiten und den Weg erkunden. Schon nach kurzer Zeit war sie wieder da. Bruder Mochta schaute sie entsetzt an, denn sie trug das Reliquiar nicht mehr bei sich, das sie seit Imleach so sorgfältig gehütet hatte. Doch sie versicherte ihm, es sei bei ihrer Freundin gut aufgehoben. Sie führte sie zu einem Haus, das etwas abseits von den anderen stand. Es war von mittlerer Größe und hatte eigene Nebengebäude. Fidelma brachte sie sofort in eines davon, das als Pferdestall diente. Eadulf hob Bruder Mochta aus dem Sattel, und Fidelma band die Pferde an.
Dann schritt Fidelma ihnen voran zum Haus, Eadulf stützte Bruder Mochta. Die Tür öffnete sich, und gemeinsam halfen sie Bruder Mochta hinein. Fidelma sah sich rasch um, ob jemand sie beobachtet habe, dann schloß sie die Tür von innen.
Dort stand eine Frau von kleiner Statur. Sie war in den Vierzigern, doch ihr Gesicht wirkte noch jugendlich, und ihr üppiges Haar schimmerte golden. Sie trug ein kittelähnliches Kleid, das ihre gute Figur, ihre schmalen Hüften und ihre wohlgeformten Glieder betonte.
»Dies ist meine Freundin Della«, stellte Fidelma sie vor. »Dies ist Bruder Mochta, der bei dir wohnen wird, und dies Bruder Eadulf.«
Eadulf lächelte der attraktiven Frau anerkennend zu.
»Weshalb habe ich Fidelmas Freundin noch nie am Hofe Colgús gesehen?« fragte er zur Begrüßung.
Sofort spürte er, daß er etwas Falsches gesagt hatte.
»Ich gehe kaum aus dem Haus, Bruder«, erwiderte Della. Ihre Stimme war ernst, aber angenehm. »Ich lebe zurückgezogen. Die Leute von Cashel respektieren das.«
Fidelma fügte beinahe scharf, als wolle sie eine Taktlosigkeit überspielen, hinzu: »Aus diesem Grunde ist Bruder Mochta hier bis zum Tag der Verhandlung sicher aufgehoben.«
»Du lebst zurückgezogen?« wunderte sich Eadulf. »Ist das nicht sehr schwierig in so einer Stadt?«
»Man kann auch unter vielen für sich allein sein«, erwiderte Della ruhig.
»Du wirst Bruder Mochta gut versorgen, Della?« Fidelma bedeutete Eadulf mit einem Blick, daß er genug geredet habe.
Della lächelte. »Darauf hast du mein Wort, Fidelma.« Sie hatte Mochta schon zu einem Lager geleitet. Daneben stand das Reliquiar des heiligen Ailbe. Als Bruder Mochta es erblickte, wurde ihm sichtlich wohler.
Fidelma nahm Eadulf, der offenbar gern noch ein wenig geplaudert hätte, am Arm und führte ihn zur Tür.
»Wir kommen rechtzeitig vor der Verhandlung zurück, Bruder Mochta. Pflege deine Wunden.«
Mit einer Handbewegung verabschiedete sie sich von dem Mönch und lächelte ihrer Freundin dankbar zu.
Als sie draußen wieder ihre Pferde bestiegen, sagte Eadulf: »Eine seltsame Freundin hast du, Fidelma.«
»Della? Nein, seltsam ist sie nicht, nur traurig.«
»Warum sollte sie traurig sein? Sie sieht doch noch gut aus und scheint auch keine Not zu leiden.«
»Ich verrate dir jetzt etwas, worüber du nie reden sollst. Della war eine Frau mit Geheimnissen.« Sie benutzte den Ausdruck
bé-táide.
»Eine Frau mit Geheimnissen? Was bedeutet denn das?« Dann schien er zu begreifen. »Heißt das, sie war eine Prostituierte?« Er hatte das Wort
echlach
aus seinem Gedächtnis ausgegraben.
Fidelma nickte knapp. »Sprich also lieber nicht darüber. Es ist ein heikles Thema.«
Sie waren nun auf der Hauptstraße von Cashel und ritten an einem Gasthaus vorüber. Ein Mann mit einem Trinkhorn in der Hand stand davor. Er starrte sie an und lief dann hinein. Eadulf tat so, als habe er ihn nicht bemerkt, doch als sie vorbei waren, sagte er zu Fidelma: »Ich habe gerade Nion vor dem Gasthaus dort stehen sehen. Er hat uns bestimmt erkannt, wollte aber nicht gesehen werden.«
Fidelma schien das nicht zu erstaunen. »Nachdem er heute morgen bei Aona auftauchte, habe ich damit gerechnet, daß er jetzt in Cashel ist«, sagte sie.
»Wie hast du dich mit Della angefreundet?« wechselte Eadulf enttäuscht das Thema.
»Ich war ihre Anwältin, als man sie vergewaltigt hatte«, antwortete Fidelma gelassen.
Eadulf verzog spöttisch das Gesicht. »Eine Prostituierte
vergewaltigt?«
»Kann denn eine Frau nicht vergewaltigt werden, nur weil sie eine Prostituierte ist?« fragte Fidelma geradezu
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