Tod ist nur ein Wort
Signore Ricetti, ein eitler Mann mittleren Alters, dessen hübscher junger Assistent zweifellos auch sein Liebhaber war, dazu der Baron von Rutter – alles Menschen, wie sie sie erwartet hatte, niemand von besonderem Interesse. Außer …
Außer ihm. Überrascht von ihrer eigenen Reaktion senkte sie den Blick. Sie mochte keine Männer in Anzug, auch nicht in Armani. Sie mochte keine Geschäftsmänner – die meisten besaßen keinerlei Humor, und ihre Gedanken kreisten nur um Geld. Es gab vieles, was Chloe an den Franzosen schätzte, doch ihr Faible für Finanzen gehörte nicht dazu. Zu schade, dass er einer von ihnen war. Gemein, dass sie sich zu jemandem hingezogen fühlte, der von vornherein nicht in Betracht kam.
Madame Lambert, Signore Ricetti, der Baron und die Baronin von Rutter, Otomi und Toussaint.
Bastien Toussaint. Zumindest schien er an ihr keinerlei Interesse zu haben – er nickte, als sie ihm vorgestellt wurde, und nahm sie einen Moment später nicht mehr zur Kenntnis. Sie konnte sich ihre Reaktion selbst nicht erklären – er war keineswegs der bestaussehendste Mann, den sie kannte. Er war ein wenig größer als die meisten Männer, schlank, und hatte ein schmales hartes Gesicht mit einer markanten Nase. Seine Augen waren von einem undurchdringlichen Schwarz, und sie bezweifelte, dass sie sie überhaupt wahrnahmen. Die dichten schwarzen Haare trug er lang, was nicht ganz ins Bild passte. Vielleicht eine kleine Eitelkeit? Ja, gewiss war er schrecklich eingebildet.
Sie wandte ihre Augen von ihm ab, als ein italienischer Wortschwall von Signore Ricetti an ihr Ohr drang.
“Was macht die hier?”, wollte er wütend wissen. “Diese dumme Britin sollte kommen. Woher wissen wir, dass wir der hier trauen können? Sie ist vielleicht nicht ganz so naiv wie die andere. Werden Sie sie irgendwie los, Hakim.”
“Signore Ricetti, es ist unhöflich, in der Gegenwart einer Person, die Ihre Sprache nicht versteht, Italienisch zu sprechen”, entgegnete Hakim missbilligend auf Englisch. Er blickte zu Chloe. “Sie sprechen kein Italienisch, Mademoiselle Underwood, oder?”
Sie wusste selbst nicht, warum sie log. Hakim machte sie nervös, und die eindeutige Ablehnung vonseiten Ricettis verbesserte die Lage nicht gerade. “Nur Englisch und Französisch”, antwortete sie strahlend.
Ricetti war nicht zu beruhigen. “Ich denke immer noch, dass es zu gefährlich ist, und ich bin sicher, dass die anderen mir zustimmen werden. Madame Lambert, Monsieur Toussaint, meinen Sie nicht auch, dass wir diese junge Frau lieber fortschicken sollten?” Er sprach noch immer Italienisch, und Chloe bemühte sich, verständnislos zu wirken.
“Seien Sie kein Dummkopf, Ricetti.” Madame Lamberts Italienisch hatte überraschenderweise einen britischen Akzent. Ähnlich wie Sylvia war es ihr gelungen, sich diesen undefinierbaren Chic französischer Frauen anzueignen – etwas, das Chloe bislang vorenthalten geblieben war.
“Oh, ich finde, sie sollte bleiben”, meldete sich Bastien Toussaint träge zu Wort. “Sie ist zu hübsch, um sie fortzuschicken. Wie sollte sie uns schaden? Ihr fehlt jedes Wissen und das Verständnis.” Sein Italienisch war perfekt, nur ein kleiner französischer Akzent klang durch und etwas, das Chloe nicht definieren konnte. Seine Stimme war tief, schleppend und sexy. Das machte es nicht einfacher.
“Ich behaupte noch immer, dass sie eine Gefahr darstellt”, sagte Ricetti und setzte seine Kaffeetasse ab. Chloe bemerkte, dass seine Hände bebten. Vielleicht zu viel Kaffee? Oder etwas anderes?
“Nun, Sie müssen sich nicht wiederholen”, ergriff der Baron das Wort. Er war untersetzt und wirkte mit seinen weißen Haaren geradezu großväterlich, sodass Chloes Beklemmung ein wenig nachließ. “Willkommen auf Château Mirabel, Mademoiselle Underwood”, sagte er auf Französisch. “Wir freuen uns sehr, dass Sie im letzten Moment einspringen konnten.”
Sie brauchte den Bruchteil einer Sekunde, um sich zu erinnern, dass sie diese letzten Worte verstehen sollte und man eine Reaktion von ihr erwartete. “Merci, Monsieur”, dankte sie, wobei sie versuchte, sich ganz auf den netten alten Herrn zu konzentrieren und Bastien Toussaint zu ignorieren, der rechts hinter ihr stand. “Ich verspreche, dass ich mein Bestes geben werde.”
“Davon bin ich überzeugt”, sagte Hakim mit leichter Schärfe in der Stimme. Ricetti lief rot an, schwieg jedoch. “Für heute sind wir mit unseren Besprechungen
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