Tod ist nur ein Wort
breiten Eingangstreppe hielt, hatte sie ihre Neugier und ihre Fantasie so weit unter Kontrolle, dass sie mit einer ansehnlichen Nachahmung von Sylvias träger Eleganz aus dem Wagen steigen konnte.
Der ältere Herr, der sie empfing, war groß gewachsen und besser gekleidet als die meisten Franzosen, was im Klartext hieß, dass er ausgesucht gut gekleidet war. Ganz offensichtlich stammte er aus dem Mittleren Osten, und Chloe schenkte ihm ihr strahlendstes Lächeln. “Monsieur Hakim?”
Er nickte und schüttelte ihre Hand. “Und Sie sind Miss Underwood, der Ersatz für Miss Whickham. Ich habe gerade eben erst erfahren, dass Sie kommen. Hätte ich es vorher gewusst, hätte ich Ihnen die Reise ersparen können.”
“Die Reise ersparen? Soll das heißen, Sie brauchen mich nicht?” Eine mindestens zweistündige Fahrt zurück in die Stadt gehörte nicht zu den Dingen, nach denen sie sich am meisten sehnte. Und das Honorar, von dem Sylvia gesprochen hatte, minderte ihre Bereitschaft zurückzukehren noch mehr.
“Wir sind weniger Personen als erwartet, und ich gehe davon aus, dass wir uns auch ohne Hilfe von außen verständigen können”, sagte Hakim mit sanfter wohlmodulierter Stimme. Sie sprachen Englisch, und Chloe wechselte sofort ins Französische.
“Wie Sie wünschen, Monsieur, doch ich bin sicher, dass ich Ihnen eine große Hilfe sein kann. Ich habe für die nächsten Tage nichts anderes vor und wäre wirklich sehr erfreut, bleiben zu dürfen.”
“Wenn Sie nichts anderes vorhaben, können Sie auch nach Paris zurückfahren und ein paar Ferientage genießen”, schlug er ebenfalls auf Französisch vor.
“Ich fürchte, mein Apartment ist kein guter Ort für Ferien, Monsieur Hakim.” Sie wusste selbst nicht genau, warum sie ihn überreden wollte, sie nicht wegzuschicken. Dabei hatte sie anfangs gar nicht herkommen wollen – nur Sylvias Bettelei hatte sie dazu gebracht. Das und der Gedanke an die siebenhundert Euro pro Tag.
Aber nun, da sie hier war, wollte sie nicht wieder zurück. Auch wenn es vielleicht das Klügere wäre.
Mr. Hakim, der Widerspruch von Frauen nicht gewöhnt zu sein schien, zögerte. Und nickte darauf. “Also gut. Wir werden Sie schon zu beschäftigen wissen”, sagte er. “Und es wäre eine Schande, wenn Sie die lange Fahrt vergebens gemacht hätten.”
“Es war tatsächlich eine lange Fahrt”, bestätigte Chloe. “Ich dachte schon, dass der Fahrer sich verirrt hätte – an einigen Orten sind wir mehr als einmal vorbeigekommen. Beim nächsten Mal sollte er eine Straßenkarte bei sich haben.”
Hakim lächelte dünn. “Ich werde es veranlassen, Mademoiselle Underwood. In der Zwischenzeit kann sich das Personal um ihr Gepäck kümmern, während ich Ihnen die Gäste vorstelle, für die Sie dolmetschen werden. Das sollte keine allzu schwere Aufgabe sein, und wenn keine Besprechungen anstehen, können Sie die wunderbare Umgebung genießen. Natürlich kann die Anwesenheit einer solch zauberhaften jungen Dame unserer Arbeit nur förderlich sein.”
Aus irgendeinem Grund wirkten die französischen Manieren an Hakim ein wenig ölig, sodass Chloe das Bedürfnis verspürte, sich die Hände zu waschen. Sie schenkte ihm das mütterliche Lächeln, das sie für den aufdringlichsten der Laurent-Brüder reserviert hielt, und murmelte ein “Sehr freundlich”, während sie ihm die Marmortreppe hinauf folgte.
Viele dieser alten Schlösser waren mittlerweile in Luxushotels und Tagungsstätten umgewandelt worden; aus den kleineren hatte man Pensionen gemacht. Château Mirabel aber war eleganter als sämtliche Anwesen, die Chloe vom Sehen oder auch nur von Erzählungen kannte. Kein Wunder, dass sie sich bereits ziemlich unbehaglich fühlte, als Hakim sie in eine riesige Bibliothek führte.
Immerhin war sie nicht die einzige Frau. Mit einem kurzen Blick erfasste sie die acht Personen, die sich zum Kaffee in dem Raum versammelt hatten und ihr nacheinander vorgestellt wurden. Die beiden Frauen hatten außer ihrem guten Aussehen wenig gemeinsam. Madame Lambert war hoch gewachsen, mittleren Alters und trug Lagerfeld-Kleidung, wie Chloe dank Sylvias Schule erkennen konnte. Die andere Frau war mit Anfang dreißig etwas jünger und einen Tick zu schön und zu lebhaft. Die Vorstellung verlief reibungslos – da war Mr. Otomi, ein älterer würdevoller Japaner, der glücklicherweise ein hervorragendes Englisch sprach und von einem stahläugigen Assistenten namens Tanaka-san begleitet wurde; außerdem
Weitere Kostenlose Bücher