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Tod Live

Tod Live

Titel: Tod Live Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D.G. Compton
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bekommen. Nach der ersten Woche hatte sie sich geweigert, auf den Spielplatz zu gehen, obwohl es keinen besseren gab. Ihr Vater hatte sie für ein seltsames Kind gehalten, da sie das Surren der regelmäßigen Abflüge nicht ertragen konnte.
    Damals war es möglich, sogar ganz einfach gewesen, die Schwierigkeit aus der Welt zu räumen. Sie spielte in einem anderen Stadtteil.
    Harry hatte den gleichen Vorschlag gemacht, er hatte vorgeschlagen, daß sie verreisen, daß sie in einem anderen Stadtteil spielen sollten. Aber kein Ort war weit genug. Sie antwortete ihm ja und nein und hörte ihm beim Pläneschmieden zu. Aber sie wußte, daß sie weiter bei Computabuch arbeiten würde, so lange sie konnte, und daß sie dann – in Selbstverteidigung, wenn nicht um Harrys willen – Selbstmord begehen würde. Organismen nutzten sich ab, versagten den Dienst. Es gab keinen Grund, sich aufzuregen.
    Harry schlief weiter. Sie drehte sich im Bett herum und schloß die Augen: Es war nicht gerade förderlich, daß das Sonnenlicht unbeschreiblich schön war, es war ein sentimentaler, wenig hilfreicher Wahn. Schönheit war einer der einfachsten Freudenmechanismen des menschlichen Geistes. Schönheit, die einem das Herz brach, hatte etwas Krankhaftes. Gleich darauf stand sie auf und bereitete das Frühstück und unterdrückte dabei das Beben ihrer Hände, das neu war.
    Wiederholter Schüttelfrost, hatte Dr. Mason gesagt, doch sie unterdrückte alles. Und nahm keine Tabletten gegen das Band, das sich um ihren Kopf legte und eigentlich kein richtiger Kopfschmerz war. Ihr Puls war normal, ihr Morgenbesuch auf der Toilette nicht besonders dramatisch. Es würde langsam angehen. Vor allen Dingen brauchte sie sich keine Sorgen mehr zu machen. Vier Jahre des Zuhörens und Beobachtens und Zweifelns waren vorbei, und die Erkenntnis ließ sie seltsam leicht ums Herz werden. Wenn es etwas gab, das sie haßte, dann Menschen, die nur von ihrem Gesundheitszustand sprachen.
    Danach kam Harry in die Küche – er hatte ein Friedhofsgesicht aufgesetzt.
    »Du hast nicht schlafen können«, sagte er.
    »Im Gegenteil. Ich habe ausgezeichnet geschlafen.«
    »Ich scheine einfach nicht wach bleiben zu können«, sagte er schuldbewußt. »Und jetzt habe ich dich auch das Frühstück machen lassen.«
    »Um Himmels willen!«
    Er seufzte, schlich schüchtern zum Tisch und setzte sich. Sie stand hinter ihm. »Was ist los? Ist jemand gestorben?«
    Plötzlich brach er in Tränen aus. Es gab Grenzen. Das brauchte sie nicht mitzumachen.
    »Der Kaffee ist in der Kanne«, sagte sie, schnappte sich ihre Handtasche und ging.
    Harry weinte eine Zeitlang. Dann betrachtete er sein Gesicht im Badezimmerspiegel, rief das Lizenzbüro an und sagte dem Anrufbeantworter, daß er heute nicht zur Arbeit kommen würde, weil seine Frau krank sei. Die Reiseprospekte, deretwegen er gestern abend auf der Heimfahrt einen Umweg gemacht hatte, nachdem ihm von Vincent so mitfühlend die Neuigkeit eröffnet worden war, lagen auf dem Telefontischchen. Er nahm sie und zerriß sie systematisch in kleine, farbige Vierecke, die er in den Müllverbrenner warf. In die Küche zurückgekehrt, begann er erneut zu weinen.
    Katherine war heute noch früher als sonst unterwegs. Es war so still, daß sie ihre Schritte hörte. Ihre Hochstimmung gewann wieder die Oberhand. Ein großer Straßensauger fuhr auf dem Rückweg zum Depot vorbei, und sie überlegte, wie sauber es doch wäre, wenn sie sich einfach davor hinlegte (sobald der Fahrer mal fortschaute) und auf ewig in der Maschine verschwinden würde.
    Ohne nachzudenken, bog sie wie üblich auf die Rampe der Straßenbrücke ein. Die Fahrbahnen unter ihr waren in beiden Richtungen leer, also lief sie zurück und kletterte aus reinem Übermut über den Trennzaun und überquerte die eigentliche Straße. Am Mittelstreifen hielt sie inne: Von hier wirkten die vertrauten Häuser fremd und aufregend, die Sonne schimmerte besonders hell auf Sandflächen, die von keinem menschlichen Fuß betreten wurden. Ein einsamer Laster heulte herbei, und sie klammerte sich an die Leitplanke und lachte, als das Gebilde an ihr vorbeiwischte, unvorstellbar laut, und mit Dopplereffekt in eine andere Entfernung verschwand. Sie kletterte über die Leitplanke und überquerte die verbleibenden Fahrspuren auf den Zehenspitzen, wie eine Katze.
    Sie war noch so früh dran, daß sie beschloß, den ganzen Weg zu Computabuch zu Fuß zurückzulegen. Das würde ihr guttun. Und um fünf Uhr

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