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Tod Live

Tod Live

Titel: Tod Live Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D.G. Compton
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Ferrimans Argumenten, seinen Begründungen, denn sie wußte, daß sie darüber erhaben war. Wenn sie ihn kennenlernte oder mit ihm sprach, würde ihr Körper rebellieren, nicht ihr Geist. Und ihr Körper würde dafür sorgen, daß sie ihm vor die Füße kotzte.
    Sie faltete seinen Brief wieder zusammen und verstaute ihn sorgsam in ihrer Handtasche. Dann saß sie da zwischen den lärmenden Spatzen, die Knie zusammengepreßt, und bekämpfte die Niedergeschlagenheit, die der Brief ausgelöst hatte. Organismen nutzten sich ab, versagten den Dienst. Es gab keinen Grund, sich aufzuregen. Ihr fiel ein, daß sie losgegangen war, ohne richtig gefrühstückt zu haben, erinnerte sich an den Grund – und schämte sich.
    Dann begriff sie das Gefühl der Niedergeschlagenheit. Nicht Vincent Ferrimans Brief war der Grund – sondern Hunger und Scham, und beides ließ sich beheben. Sie war ohnehin viel zu früh dran. Langsam stand sie auf und suchte sich ein Café mit Telefonzelle. Dort konnte sie essen und mit Harry Frieden schließen.
    »Kate? Wo bist du?«
    »Alles in Ordnung, Harry?«
    »Natürlich.«
    »Ich habe mich nicht sehr nett verhalten.«
    »Du konntest eben nicht anders.«
    »Aber natürlich.«
    »Es ist keine sehr nette Situation.«
    »Harry – es tut mir leid.«
    »Was hätte ich denn tun sollen – herumtanzen?«
    Auf das Plastikgehäuse des Telefons waren allerlei Nummern und obszöne Bemerkungen gekritzelt. Sie begann das Interesse an Harry zu verlieren.
    »Wenn du Chinese wärst, hättest du das tun können.«
    »Wenn ich nur gewußt hätte, was du wolltest…«
    »Sie ziehen sich weiß an und tanzen durch die Straßen. Früher jedenfalls, vor langer Zeit, im Jahr der vier blauen Drachen.«
    »Wovon redest du eigentlich, Kate?«
    »Von chinesischen Begräbnissen.«
    »Wenn ich nur wüßte, was du willst. Kate, wo bist du? Ich will dich abholen.«
    »Laß das lieber.«
    »Ich komme.«
    »Dann verspätest du dich zur Arbeit.«
    »Ich habe schon Bescheid gegeben, daß ich nicht komme.«
    »Warum denn das, um alles auf der Welt?« Er wollte nicht antworten, und sie begann ihn zu drängen. »Warum gehst du nicht zur Arbeit?«
    »Im Amt wird man mich verstehen, auch wenn du mich nicht verstehst.«
    »Ich verstehe dich durchaus. Durchaus.«
    »Wenn ich nur wüßte, was du möchtest, Kate.«
    »Ich möchte mit jemand anders verheiratet sein, Harry. In den letzten siebenundzwanzig Tagen meines Lebens möchte ich mit jemand anders verheiratet sein.«
    Ihr gefiel das Telefon; am Telefon hatte sie die Macht, Gespräche zu beenden, wenn sie wollte. Sie legte auf und kehrte langsam zu ihrem Tisch und ihrem Ei auf Toast zurück. Hunger und Scham, das war es gewesen, und beides ließ sich beheben. Mit Ei und Toast kurierte sie den Hunger und mit Zorn die Scham.
    Er machte sich natürlich Sorgen um die Zukunft, um seine Zukunft. Zum zweitenmal ein Neuer Lediger, dazu zwei Jahre älter als sie – war er jemals jung gewesen wie sie? – und nicht reich, mit einer Aura der Schäbigkeit behaftet, die jetzt nur noch die herrschsüchtigsten Abgetakelten anziehen würde… Sie selbst war vielleicht auch herrschsüchtig, aber keine Abgetakelte… Sie mußte eingestehen, daß seine Aussichten ganz und gar nicht rosig waren. Aber wenigstens war seine Zukunft voller Leben.
    Eine herrschsüchtige Abgetakelte? Niemals. Wenn sie einen Mann wollte, konnte sie jederzeit einen haben. Sie beendete ihre Mahlzeit… Nein, so durfte sie das nicht sehen; da sprach die kleine Bürokratin, die dralle, lebensfrohe Regierungsbeamtin, die über tausend Büroklammern gebot. Wenn sie einen Mann wollte – ohne Bezahlung –, würde sie sich anstrengen müssen. Und sie brauchte ihre Energie für andere Dinge.
    Für andere Dinge?
    Für ihr Buch, zum Beispiel.
    Während ihr die Stunden durch die Finger rannen.
    Abrupt verließ sie das Café und nahm die nächste Schnellbahn zu Computabuch. Jetzt kam es auf die Prioritäten an, und realistisch gesehen blieb ihr verflixt wenig Zeit, ihr Buch zu schreiben. Die Schüttelfröste würden häufiger auftreten, gefolgt von wiederkehrenden Lähmungen, gefolgt vom Verlust der Bewegungskoordination, gefolgt von Schweißausbrüchen, Doppelsichtigkeit, Versagen anderer Körperfunktionen, Halluzinationen; ein zunehmender Zusammenbruch, der unregelmäßigen Herzschlag, Anoxämie, völlige Lähmung bewirkte… Es war eine eindrucksvolle Liste, eine Litanei voller Rhythmus, eine Poesie, die sogar einen gewissen eigenen Glanz

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