Tod Live
Augenblick wieder ins Freie, als die Tür zuging. Es gab eine Hausmeistertür, die sie benutzen konnte – sollte das Taxi doch warten. Aber Mr. Mathiesson war zu schnell und stoppte den Lift mit dem Alarmknopf.
»Haben Sie etwas vergessen, Mrs. Mortenhoe?«
»Die Toilette. Wenn Sie nichts dagegen haben.«
»Oh, bitte sehr.«
Er ging mit ihr zurück und richtete sich vor der Tür aufs Warten ein. Sie durchquerte den Waschraum, erbrach das Siegel des Notausstiegs und trat hinaus. Mr. Mathiesson befand sich drei Meter entfernt und winkte ihr fröhlich vom Notausgang des Korridors zu.
»Mal frische Luft schnappen, Mrs. Mortenhoe?«
Als sie das schwindelerregende Muster der Feuertreppe unter sich betrachtete, wußte sie, daß sie ohnehin nicht damit fertig geworden wäre. Sie und Mr. Mathiesson fuhren also zusammen nach unten, stumm im Fahrstuhl stehend. Nachdem nun nur noch eine List übrig war, genoß sie die Situation nicht mehr.
Sie nannte dem wartenden Taxifahrer ihre Anschrift, sah, wie ihr Begleiter in sein Taxi stieg, und verließ den Wagen sofort auf der anderen Seite. Mr. Mathiesson wartete bereits auf sie.
»Conan Doyle«, sagte er. »Etwa Ende neunzehntes Jahrhundert.«
Sie kapitulierte. Vor allen Dingen wollte sie ihm keine Gelegenheit mehr geben, seine widerliche Klugheit unter Beweis zu stellen. Sie kehrte in ihr Taxi zurück und saß niedergeschlagen in den Polstern, die Knie umschlungen, während der Fahrer den Wagen samt Anhang sauber in den vorbeiströmenden Verkehr einfädelte.
Ironischerweise war es schließlich die Stadt, die Mr. Mathiesson hereinlegte. Ein Turbinenlaster raste auf der ersten Schnellstraßenkreuzung von hinten in sein Taxi und tötete ihn sofort. Sie ließ ihren Fahrer anhalten, bezahlte ihn und eilte zurück, um sich die Szene anzusehen. Mr. Mathiesson hatte sich den Hals gebrochen, und überall auf seinem Gesicht waren die zerkrümelten Brocken des bruchsicheren Glases eingedrückt. Der Lkw-Fahrer, dem mehrere Zähne fehlten, blutete sauber in einen Abfalleimer. Ungesehen stand ein kleiner Mann in graugrüner Jacke hinter dem Laster, an eine Parkuhr gelehnt, und beendete seine Lektüre eines Aimee-Paladine-Romans.
Katherine erfuhr von anderen Neugierigen, daß der Taxifahrer drüben in der Telefonzelle sei und den Unfallbeseitigungsdienst anrufe. Sie ging zurück und warf einen letzten Blick auf Mr. Mathiesson, entfernte sich dann ruhig durch die Menge. Organismen nutzten sich ab, versagten den Dienst. Es gab keinen Grund, sich aufzuregen.
DONNERSTAG
Sie verbrachte die Nacht in einem schmutzigen Hotel. Erwachte und sah ihren Zorn geschwunden. Die Veränderung hatte neben dem zusammengedrückten Taxi begonnen, neben dem armen Mr. Mathiesson, den niemand mehr beschämen würde. Aber sie hatte sich ihren Zorn bewahrt, als Trost, während sie durch die endlosen Zentralbezirke wanderte, von denen jeder einer neuen, strahlenderen Lüge der Stadt gewidmet war. Sie hatte sich ihren Zorn bewahrt, wegen der Lösungen, die er bot, wegen des Gefühls der Rechtmäßigkeit, das er ihr gab, und überließ dabei Harry, der ihr einfachstes Bedürfnis nicht stillen konnte, der ängstlichen Leere der Wohnung und einer endlos schrillen Türklingel. Sie hatte sich ihren Zorn bewahrt auf ihrem Marsch durch die neue City und die grauen Überreste der Altstadt, bis zur Treppe des ersten Hotels in einer Straße, die sie an die Straße ihres Vaters erinnerte, und eine abgetretene Treppe hinauf bis in ein Couchzimmer mit kleinem Toilettenraum.
»Miss Wentworth«, hatte sie dem Wirt gesagt. Und: »Nur für eine Nacht.« Sie hatte im voraus bezahlt und gehofft, er würde nicht nach ihrer Strafkarte fragen. Er verkniff sich die Frage, doch sie mußte für seine Großzügigkeit die lüsternen Blicke und anzüglichen Bemerkungen ertragen.
Aber sie schätzte ihn, wegen seiner haarigen Arme und seiner Schlüpfrigkeit, und hätte auf der Stelle die Beine für ihn geöffnet – fünfzig Jahre der Liebe? –, wenn sie nur gewußt hätte, wie. Und als sie schließlich allein war, blickte sie auf die Straße hinunter, die Straße ihres Vaters, die erste Straße, an die sie sich erinnerte, erkannte die pathetischen Gründe, weshalb sie unter tausend Straßen ausgerechnet diese gewählt hatte, und begann zu weinen.
Etwas später warf sie ihre Computernotizen fort, verließ das Hotel und ging zu einer Telefonzelle, um Harry anzurufen. Um ihn aus anderen, klareren Gründen anzurufen. Doch die Nummer war
Weitere Kostenlose Bücher