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Tod Live

Tod Live

Titel: Tod Live Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D.G. Compton
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nicht anwählbar, und sie erriet schnell den Grund. Sie freute sich, daß er so vernünftig gewesen war, sich zu schützen. Vielleicht hatte er auch die Türklingel abgestellt.
    Sie ging früh zu Bett, erwachte einmal während der Nacht, schwitzend und von Schüttelfrost gepeinigt. Sie bewegte die Glieder, um festzustellen, ob sie gelähmt sei, doch es war noch nicht soweit. Sie nahm keine Tablette; sie wollte die Zeit abmessen, sie wollte über ihren Zustand Bescheid wissen. Der Schüttelfrost dauerte dreiunddreißig Minuten. Danach schlief sie wieder ein, seltsam zufrieden.
    Am Morgen verließ sie das Hotel, noch ehe der Wirt aufgestanden war. Sie suchte eine nahe gelegene Polizeiwache auf, gab eine formelle Leiderklärung ab und erhielt zwei Plastikaufkleber – einen für ihren Mantelaufschlag und einen für die Haustür oder ihren Wagen. Jetzt hatte sie drei Tage Ruhe.
    Auf dem Treppenabsatz vor ihrer Wohnung schlief ein Reporter auf einer Gummimatratze, während ein anderer dösend an der Wand lehnte. Die beiden rappelten sich auf, lasen die Plakette, die sie an der Tür festmachte, und begannen müde ihre Sachen zusammenzupacken. Sie ging hinein.
    »Ich bin wieder zu Hause«, rief sie und redete sich ein, daß das stimmte. »Harry, mein Schatz, ich bin wieder zu Hause.«
    In der Wohnung herrschte eine hektische, belagerte Atmosphäre. Sie ging ins Schlafzimmer, wo sich Harry gerade zu regen begann und sich abmühte, die Augen im grellen Licht des frühen Morgens aufzubekommen, wohl auch beeinflußt von einem guten Schuß Panidorm. Er sah seltsam verletzlich aus und, darauf hatte sie Barbara gebracht, wie eine Spitzmaus. Was immer eine Spitzmaus war. Ein Winterschläfer? Sie zog ihre Jacke aus und legte sie neben ihn auf das Bett.
    »Ich hatte schon Angst, daß du nicht wiederkommst«, sagte er.
    »Ich war etwas durcheinander, Schatz, es tut mir leid.«
    »Ich hatte schon Angst, daß du nicht wiederkommst.«
    Er hörte nicht auf sie, so daß sie ihm alles erklären konnte. »Ich habe mich über die falschen Dinge geärgert, Harry. Über die Menschen. Dabei ist es nicht ihre Schuld.«
    »Und jetzt bist du da.« Er griff über das Bettzeug nach ihrer Hand. »Du bist da«, sagte er.
    Ihre Erklärung war noch nicht zu Ende, doch die Worte erstarben an ihrer eigenen Lächerlichkeit. Sie drückte Harry die Hand und ließ sich von seinem Schlaf umhüllen.

    Ich nehme an, ich habe die Ankunft des nächsten Morgens beobachtet, des zweiten Morgens nach meinem ersten Blick auf die einzig wahre Katherine Mortenhoe; ich glaube, ich habe den Sonnenaufgang unten am Fluß beobachtet. Eine ziemlich sichere Vermutung. Ich war damals oft dort unten, suchte den Nebel, der sich unter den Brücken und den steifen, schwarzen Röcken der festgezurrten Hovercrafts sammelte, und formte vor meinem inneren Auge ein Bild von seidigem Wasser und Meeresvögeln und vorbeirasenden Polizeibooten. Na gut, dann war die Vorstellung eben kitschig, aber ich hatte nun mal dieses Bildgedicht im Kopf. Ich werde die Bänder eines Tages im Sender zurechtschneiden und an eine Kunstschau verkaufen. Wenn man schon die Gabe hat, die 14.000-Pfund-Gabe, sollte man sich das auch zunutze machen.
    Ich war auf dem Weg nach Westen, um irgendwo zu frühstücken – wenn nicht vom Fluß, dann von woanders herkommend –, als ich vor mir an einer Kreuzung die einzig wahre Katherine Mortenhoe über die Straße gehen sah. Ich versuchte sie natürlich nicht einzuholen: Wenn sie bei Vincent unterschrieben hätte, wäre mir das bestimmt bekannt gewesen, und außerdem sah ich das fluoreszierende, orangefarbene Leuchten ihres Abzeichens. Ich wanderte also in unverändertem Tempo weiter und blieb an der Ecke stehen, um ihr nachzublicken, bis sie verschwunden war. Sie sah mich nicht. Sie hätte mich auch nicht wahrgenommen, wenn ich drei Meter groß gewesen wäre und einen Anzug mit Neonröhren getragen hätte. Sie tanzte. Nicht wild, nur drei kleine Schritte auf dem Bürgersteig und ein altmodischer Seitenhopser. Auf offener Straße, vierundvierzig Jahre alt, noch vier Wochen zu leben – und sie tanzte. Andere Leute waren unterwegs, die sie genauso beobachteten wie ich. Nur hielten sie sie wahrscheinlich für verrückt oder betrunken, während ich es besser wußte.
    Ich kann Ihnen sagen – mein Tag sah gleich ganz anders aus. Meine Arbeit mit ihr würde also doch nicht so schlimm werden. Sie besaß etwas, was ich das Talent zur Freude nenne. Findet man heute selten.

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