Tod to go (Crime Shorties)
leibhaftig begegnen würde. Und schon gar nicht unter diesen Umständen. Es war grotesk. Geradezu unwirklich. Aber auf keinen Fall würde er sich seine Stellung in diesem Haus nehmen lassen. Das kam überhaupt nicht infrage. Außerdem hatte er eine Verpflichtung Miss Sophie gegenüber.
Sicher, sie war temperamentvoll und strahlte eine gewisse Robustheit aus, doch andererseits wusste er von ihrer Verletzlichkeit. Und die Welt konnte ihren Bewohnern ein sehr hartes Los auferlegen. Wer wüsste besser als er, wie brutal das Schicksal zuschlagen konnte? Ja, die Welt konnte erbarmungslos sein, besonders in dieser Zeit, in der die Liebe nur noch ein Geschäft war und niemand Rücksicht auf verletzte Gefühle nahm. Manchmal kam es James vor, als sei er vorzeitig an der Welt gealtert.
Er wischte mit einem feuchten Tuch über den Tisch, stellte die Vase auf die Anrichte und zog eine Dose mit Politur aus seiner Schürze. Laut schallte das Ding-Dong der Türglocke durchs Haus. James fuhr zusammen. Er hatte gleich gefunden, dass dieses neue Läutspiel eher in eine mittelgroße Kapelle gepasst hätte. In den eleganten Räumen von Rosen-Manor erschien es ihm jedoch geradezu vulgär.
Er öffnete die Politurdose und nahm mit einem Tuch etwas Creme auf. Langsam begann er, die Tischplatte zu polieren. Wieder dröhnte die Glocke durchs Haus.
»James?!«
»Ja, Miss Sophie.«
»Wollen Sie nicht die Tür öffnen?«
»Ja, Miss Sophie.«
Gemächlich verschloss er die Dose und wickelte sie in das Tuch. Beide ließ er in der Tasche seiner Schürze verschwinden.
Als er die Tür öffnete, quoll ihm ein gewaltiger Strauß roter Rosen entgegen.
»Sophie-Täubchen, die habe ich …«
»Sir?«
»Sie sind’s, James! Mein Gott, wie sehen Sie denn aus?«
Sir Tobys erschreckte Miene tauchte hinter den schweren Blüten auf. Donnernd lachte er ihm direkt ins Gesicht.
»Wenn ich arbeite, Sir, pflege ich die Kleidung meiner Tätigkeit anzupassen.«
»Schon gut, James, schon gut.«
»Das Wort ›arbeiten‹ bedeutet …«
»Ich sagte: schon gut, James! Es ist gut. Ist mein Herzblatt fertig?«
»Sie benötigen einen Arzt, Sir?«
»Arzt? Unsinn! Miss Sophie, ich meine …«
»Miss Sophie befindet sich noch in ihrem Ankleidezimmer. Wenn Sie die Güte hätten, etwas Geduld aufzubringen …?«
James hob dezent die Augenbrauen und trat zur Seite. Mit einer betont eleganten Handbewegung winkte er Sir Toby herein. Einige Augenblicke hatte er Gelegenheit, diesen unerwünschten Besucher zu taxieren. Das weiße Jackett war völlig unpassend für diese Jahreszeit. Und dann dieser kleine Schmutzfleck unterhalb des Kragens. Die Orchidee am Revers – mehr als degoutant. Was sich ihm da präsentierte, war zweifellos der Inbegriff eines Parvenüs. Zudem saß der Überzieher schlecht.
Sir Toby musste kräftig zugelegt haben, seitdem er diesen Umhang bei einem offensichtlich durchschnittlichen Schneider hatte fertigen lassen. Die Hose war an den Knien ausgebeult, und die Schuhe eigneten sich besser für den Golfplatz. Seine Haare hatte Sir Toby bis auf einen dünnen Haarkranz eingebüßt. Die Stirn war nach vorne gewölbt. Ebenso seine Unterlippe, die den Blick auf ein wild durcheinander tanzendes Ensemble nikotinverfärbter Zähne freigab. Auf der Nase trug er eine eckige Brille, hinter der die Augenbrauen sich verschämt versteckten.
Was fand Miss Sophie nur an diesem Mann? Er hatte nicht einmal Geld. Er, James, hatte sich kürzlich genötigt gefühlt, Miss Sophie darüber aufzuklären, dezent, aber deutlich. Leider hatte sie sich jede Einmischung verbeten.
»Sophie-Täubchen. Dein Romeo wartet auf dich!«
Sir Tobys ölige Stimme wurde zu einem Zwitschern. James erwog, beim nächsten Besuch eine Schale mit Vogelfutter auf den Tisch zu stellen. Er rückte einen Stuhl zurecht und verbeugte sich leicht.
»Wollen Sie Platz nehmen, Sir?«
»Danke, James … und ein Glas Whisky wäre der Tageszeit wohl angemessen.«
Bevor sich Sir Toby auf dem Stuhl niederlassen konnte, schob ihm James das nasse Wischtuch auf die Sitzfläche. Sir Toby sprang auf und starrte auf das Tuch.
»Sir?«
»Was, verdammt, ist das …?«
»Entschuldigung, Sir. Das muss ich vergessen haben.«
* * *
Das Tanzcafé erstrahlte im Licht glitzernder Kristalllüster. Auf den Tischen sorgten Kerzen für eine anheimelnde Atmosphäre. Die Luft war geschwängert mit einer Melange kaum zu unterscheidender süßlicher Düfte, wobei Moschus die Oberhand zu gewinnen
Weitere Kostenlose Bücher