Tod und Leidenschaft (German Edition)
war noch zu hören.
Elizabeth stand in Gedanken versunken da.
„Es muss eine größere Sache sein, wenn sie einen Inspector in ein Hutgeschäft schicken, um sich nach einer ermordeten Prostituierten zu erkundigen.“
Es war Mr. Lewinskys Stimme, die aus dem Atelier zu ihr herüberdrang.
„Ja. Merkwürdig. Nicht wahr?“
„Wenn nur der vermaledeite Regen endlich aufhören würde. Da kommt keine Kundschaft.“
Er rumorte in seinen Boxen auf der Suche nach etwas, das er an einen Hut nähen konnte.
„Ich mache dann mal ein wenig sauber …“
Sie hasste es, wenn sie putzen wollte und ständig dabei auf ihre Schürze achten musste.
Der klebrige Ruß hinterließ Flecken, die man aus keinem Stoff mehr herausbrachte.
Sie richtete sich einen Eimer mit Seifenwasser und begann vorsichtig, die Regale abzuwischen. Wobei ihre Gedanken beständig nicht nur bei dem Mord waren, sondern auch bei dem Polizisten.
Elizabeth wurde das Gefühl nicht los, dass sich mit diesem Diebstahl ihr Leben gewendet hatte. Etwas Neues, ganz Unerhörtes, war in ihr Dasein getreten.
Sie musste unbedingt den Artikel noch einmal lesen. Dass ihr Geld für keine weitere Zeitung reichte, ärgerte sie maßlos.
Und die Zeitungsjungen, die im Abstand von Minuten am Laden vorbeiliefen und die neuesten Schlagzeilen zum Mord herausbrüllten, verbesserten ihre Laune nicht wirklich. Im Gegenteil. Sie fragte sich fieberhaft, wo sie noch ein paar Pennies locker machen konnte, um eine zu kaufen.
Leider hatte Mr. Lewinsky ihr den Lohn noch nicht gegeben und sie mochte ihn auch nicht danach fragen, wusste sie doch, wie schlecht die Geschäfte liefen und, dass er keinen Tag früher als üblich bezahlen konnte.
Dennoch: sie musste mehr erfahren! Aber von wem? Dass der Inspector ihr nichts erzählen würde, stand fest. Zu einer Zeitung marschieren und sich erkundigen konnte sie auch schlecht.
Wie sie es auch drehte und wendete – sie kam nicht weiter. Und das ärgerte sie maßlos.
„Miss Montgomery?“ Mr. Lewinskys Stimme riss sie aus ihren düsteren Gedanken.
„Ja, Mister Lewinsky?“
Er kam aus dem Atelier und hielt eine cremefarbene Hutschachtel in Händen.
„Der müsste an Mrs. Bollings ausgeliefert werden. Es ist gerade wenig los … und sie sagte, sie brauche ihn dringend …“
„Natürlich. Wird sofort erledigt!“
Elizabeth legte ihre Schürze sorgfältig zusammen und zog dann ihr Cape über. Die Schachtel unter dem weiten Umhang sicher geborgen, machte sie sich auf den Weg.
Wenigstens hat der verdammte Regen aufgehört, dachte sie, als sie in das Getümmel der Straße trat. Frauen mit Einkaufskörben eilten vorbei und Droschke reihte sich an Droschke.
Ein infernalischer Lärm brandete um sie herum wie die Wogen, die am Meer an den Felsen brechen.
Händler debattierten mit Kunden und Kinder jagten sich johlend die Straße hinunter, wobei sie achtlos Passanten anstießen und dafür auch die eine oder andere Schelle erhielten.
Der Regen tropfte noch immer schwer von den Vordächern, die über die Auslagen der Läden gezogen worden waren und die vorbeitrabenden Pferde verströmten einen säuerlich- herben Geruch.
„Ist der für mich?“, fragte plötzlich eine kecke Stimme. Elizabeth blieb stehen. Ihr Umhang war von der Hutschachtel gerutscht und ihr war sofort klar, dass die Frage ihr gegolten hatte.
Eine großgewachsene junge Frau, schlank und für die Gegend ungewöhnlich attraktiv, stand in einem Hauseingang und deutete auf die Schachtel und Elizabeth Arm. Sie hatte ein gewinnendes Lächeln und blonde Löckchen kräuselten sich um ihre Schläfen.
Sie wusste sofort, dass diese Frau eine Prostituierte war.
Keine anständige Frau stand einfach so, ohne Grund, in einem Hauseingang. Sie selbst war immer von ihrer Mutter gescholten worden, wenn sie auch nur mit Freundinnen herumgestanden war und geklatscht hatte.
„Es ziemt sich nicht für ein anständiges Mädchen“, hatte sie immer zu hören bekommen. Und wenn sie gefragt hatte, was daran so schändlich sei, hatte die Mutter sie kräftig am Ohr gezogen.
Inzwischen lebte sie lange genug in Whitechapel, um zu wissen, was ihre Mutter gemeint hatte …
„Nein!“, erwiderte Elizabeth und drückte die Schachtel so fest als möglich gegen den Körper, erfüllt von Furcht, die Frau könne ihr die Schachtel entreißen und sie würden den zweiten Diebstahl in kaum einem Tag zu verantworten haben.
„Keine Angst. Ich klau nicht, Miss. Ich bin ne anständige Person!“
Elizabeth
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