Tod und Leidenschaft (German Edition)
Einstiche in den äußeren Geschlechtsteilen. Dieser Frau hier wurde Schreckliches angetan!“
Abberline räusperte sich.
„Die Verletzungen im Gesicht …“
Der Doktor bewegte seinen Kopf von einer Seite zur anderen, als mache er Entspannungsübungen für seinen Nacken.
„Das sind ältere Verletzungen. Die Frau wurde … und das zeigt der Gesamtbefund … wohl ziemlich oft geschlagen. Aber welche Frau im Eastend wird das nicht? Betrunkene Ehemänner, unzufriedene Kunden, zornige Beschützer … die Eine steht danach wieder auf. Die andere nicht. Aber das hier …“, er deutete auf die groben Stiche, mit denen der Körper der Toten zusammengenäht worden war. „ … das hier steht auf einem anderen Blatt, meine Herrn.“
„Kennen sie die Tote, Doktor Llewellyn?“
Der Arzt zog die Mundwinkel herunter und schüttelte den Kopf.
„Wo ist ihre Kleidung?“
„Dort drüben. Wenn sie mir folgen wollen …“
Er beachtete den Sarg nicht mehr und es drängte Harris, das Tuch wieder über die Frau zu breiten, doch er unterließ es, denn allein die Vorstellung, es zu berühren, verursachte ihm Unbehagen. Um das Geringste zu sagen.
„Sie trug einen rot - braunen Mantel, eine braune Jacke, ein weißes Brusttuch, zwei schwere Röcke, schwarze Wollsocken und Strumpfhalter, ein paar genagelte Herrenstiefel, allesamt alt und sehr mitgenommen, wie sie sehen können … und …“ Er hielt inne und lenkte so die Aufmerksamkeit der beiden Polizisten von dem Kleiderhaufen auf sich selbst …
„Eine nagelneue schwarze Strohhaube mit einem schwarzen Samtband.“
„Neu sagen sie?“
Der Doktor nickte und hielt die Kopfbedeckung, die halb unter einem verdreckten Stoffstück gelegen hatte in die Höhe.
Es war ein wirklich auffälliges Stück.
„Wie kommt solch eine abgerissene Frau zu solch einer Haube?“
Harris bot die Antwort: „Gefunden?“
Abberline klopfte mit seinem Stock auf den Boden wie ein ungehaltener Lehrer.
„Ah … Harris … solch eine Haube verliert doch niemand. Noch dazu … sie sieht nicht gerade billig aus … Gibt es ein Schild in der Haube?“
Der Doktor drehte sie um und die drei Männer sahen einen kleinen eingenähten Stoffstreifen, auf dem deutlich „Lewinsky´s Modes de Paris“ zu lesen war.
„Wer kennt sich mit Hutläden in Paris aus?“, wollte Abberline wissen und seine Betonung machte deutlich, dass er kaum damit rechnete, eine positive Antwort zu erhalten, denn er grinste verschmitzt.
Harris aber hatte dank Ada Erfahrung mit Hutläden.
„Der muss nicht in Paris sein, Sir. Viele Modisten hier geben sich französische Namen. Das kommt gut an bei den Damen.“
Harris plötzlicher Eifer amüsierte die beiden Männer und er begann sich ein wenig zu schämen.
„Ich frage mal Thorby … Der kennt sich im Eastend gut aus. Vielleicht hat er eine Idee.“
Llewellyn rief seinen Assistenten, der mit verhaltenem Schritt eintrat.
„Thorby … Kennen Sie zufällig einen Hutladen namens Lewinsky´s Modes de Paris?“
Der Angesprochene – er war in der Tür stehen geblieben – schloss kurz nachdenklich die Augen.
Dann öffnete er sie wieder und sah seinem Chef direkt in die Augen. Harris empfand seinen Blick als unangenehm stechend.
„Ja, Sir. Das ist nicht weit von hier.“
„Whitechapel?“
„Nein, Sir. In der Lime Street. Die gehört, meines Wissens nach schon zur City.“
„Gut. Danke, Thorby! Sie können wieder an die Arbeit gehen.“
„Danke, Sir.“ Er verbeugte sich und ging dann wieder hinaus, wobei er die Tür sorgfältig hinter sich schloss.
„Was die Kleidung angeht …“, erhob Abberline die Stimme und der Doktor vollendete seinen Satz.
„… abgerissenes, altes, verdrecktes Zeugs.“
„Wir suchen noch das Blut, Doktor.“
Die Formulierung mochte befremdlich klingen, doch schien dies den Arzt nicht zu stören.
„Die Sachen waren so schmutzig … da lassen sich die Flecken schlecht unterscheiden. Aber vom Stoff her gesehen, kann dieser so manches aufnehmen.“
„Sie denken also auch, dass ein Großteil des Blutes in die Kleidung gesickert sein könnte?“
„Durchaus.“
Abberline bedankte sich bei Llewellyn und ging dann, gefolgt von Harris in Richtung Tür. Die Hand bereits auf dem Knauf, wandte er sich noch einmal um.
„Der Mörder …“, mehr brauchte er nicht sagen.
„Sie haben es nicht mit einem gewöhnlichen Mörder zu tun, Inspector.“
Der Satz hing noch schwer über den beiden Polizisten, als sie bereits wieder auf die
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