Todes Kuss
Elliotts Ball in Sie verliebt habe. Er hatte beobachtet, dass Sie die Annäherungsversuche mehrerer Gentlemen – unter ihnen war auch ein Duke – zurückgewiesen hatten. Das hat ihn tief beeindruckt, denn er meinte, es beweise, dass Sie es nicht auf einen Titel abgesehen hätten.“
Ich errötete ein wenig.
„Er war überglücklich, als Sie seinen Antrag annahmen.“
Beschämt senkte ich den Blick. Unsere Ehe musste Philip sehr viel mehr bedeutet haben als mir. Doch das konnte ich Hargreaves unmöglich sagen.
Er bemerkte mein Unbehagen und entschuldigte sich dafür, dass er Dinge zur Sprache gebracht hatte, die mich offensichtlich noch immer betrübten.
„Beabsichtigen Sie, London ebenfalls bald zu verlassen?“ Ich wechselte das Thema.
„Ja, und möglicherweise werden sich unsere Wege in Paris kreuzen.“
Die Vorstellung gefiel mir. Als Hargreaves sich nach einer weiteren Viertelstunde angenehmer Konversation verabschiedete, sagte ich: „Ich denke, wir kennen uns jetzt gut genug, um uns in Zukunft beim Vornamen zu nennen.“
„Ich fühle mich geehrt, Emily.“ Seine dunklen Augen leuchteten, und sein Lächeln war überaus charmant.
5. April 1887, Berkeley Square, London
So sehr ich auch die afrikanische Savanne liebe, der Komfort eines Hauses in London ist nicht zu unterschätzen …
Kann mich hier ungestört meiner wissenschaftlichen Arbeit widmen. Meine griechischen Objekte fehlen mir allerdings. Habe bereits überlegt, ob ich sie von Ashton Hall hierher bringen lassen soll.
Natürlich könnte ich meine Sammlung auch deutlich vergrößern und einige Exemplare in beiden Häusern ausstellen. Das wäre vielleicht die beste Lösung.
4. KAPITEL
Eine Woche später hatte ich mich in meiner Suite im Le Meurice gegenüber dem Jardin des Tuileries bereits häuslich eingerichtet. Kurz nach meiner Ankunft traf ich mich mit Ivy, die – wie ich zufrieden feststellte – ihre Hochzeitsreise sehr genoss. Sie und Robert freuten sich, mich zu sehen, schienen allerdings ein wenig besorgt darüber, dass ich mich auf einen längeren Aufenthalt eingerichtet hatte. Die beiden planten nämlich, kurz darauf in die Schweiz zu fahren und befürchteten, ich könne mich in ihrer Abwesenheit einsam fühlen.
Und sie hatten recht. Einige Tage nach ihrer Abreise bedauerte ich, keine Gesellschafterin eingestellt zu haben. Doch bald schon hatte ich mich an das Leben in der französischen Hauptstadt gewöhnt. Ich unternahm lange Spaziergänge, traf mich mit anderen englischen Touristen zum Tee und unternahm gelegentlich einen Einkaufsbummel.
Tatsächlich fühlte ich mich in Paris bedeutend wohler als in London, was wohl damit zusammenhing, dass meine hiesigen Bekannten dem Tod von Philip nicht so große Bedeutung zumaßen wie jene in England. Es wurde selten von ihm gesprochen, denn kaum jemand in Frankreich hatte ihn persönlich gekannt. Daher verspürte ich nicht ständig ein schlechtes Gewissen darüber, dass ich nicht wirklich um ihn trauern konnte. Das Bedürfnis, mich vor der Welt zu verstecken, war vollkommen verschwunden. Ja, ich war sogar froh, mich relativ frei bewegen zu können, so wie die Zeit der Halbtrauer es gestattete.
Dank meiner gesellschaftlichen Stellung wurde ich zu verschiedenen Soireen eingeladen. Recht häufig bat man mich auch zum Dinner. Aber ich nahm nur jene Einladungen an, die mich wirklich interessierten. Es war eine große Erleichterung, zu wissen, dass meine Mutter nicht plötzlich auftauchen und mich schelten würde, weil ich mich vor meinen gesellschaftlichen Verpflichtungen drückte.
Während meiner ersten Woche in Frankreich fand ich viel Zeit zum Lesen. Bald schloss ich die Lektüre der Ilias ab. Schon zwei Tage später konnte ich auch The Age of Fable aus der Hand legen, ein Buch, das mir viele neue Einsichten vermittelt hatte. Ursprünglich hatte ich mich nun der Odyssee zuwenden wollen. Doch stattdessen beschloss ich, mit Popes Übersetzung der Ilias fortzufahren.
Das Hotel lag nicht weit vom Louvre entfernt, sodass es ein Leichtes für mich war, dem Museum häufige Besuche abzustatten. Die wunderbare Sammlung griechischer Altertümer faszinierte mich. Nachdem ich mir die Ausstellungsstücke genau angeschaut hatte, begann ich – wie schon im British Museum in London – einzelne von ihnen zu skizzieren. Leider war ich nur selten mit meiner Leistung zufrieden. Es wollte mir einfach nicht gelingen, die Szenen, die ich von den ausgestellten Stücken des Parthenon-Frieses kopierte,
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