Todes Kuss
wirklich treffend zu Papier zu bringen. Jetzt wünschte ich, ich hätte den Anweisungen und Ratschlägen des Zeichenlehrers, den meine Mutter vor einigen Jahren für mich eingestellt hatte, mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Trotzdem war ich mit großem Eifer bei der Sache – auch, weil ich das Gefühl hatte, jede Beschäftigung mit der Antike würde mich dem Mann näher bringen, den ich geheiratet und so bald darauf verloren hatte.
Als ich eines Nachmittags aus dem Louvre ins Hotel zurückkehrte, teilte meine Zofe mir mit, ein Franzose würde auf mich warten. Da ich wusste, wie groß ihre Abneigung gegen alle war, die nicht zu den Untertanen von Königin Victoria zählten, wunderte es mich nicht, dass sie hinzusetzte: „Ich hätte ihn gar nicht hereingelassen, wenn er nicht behauptet hätte, er wolle Ihnen etwas von Lord Ashton bringen.“
„Da wir uns in Frankreich aufhalten, Meg“, belehrte ich sie, „müssen wir damit rechnen, gelegentlich Kontakt zu den Bewohnern dieses Landes zu haben. Hat der Gentleman seinen Namen genannt?“
„Renoir.“
Voller Neugier auf meinen Gast betrat ich den Salon.
Ein Mann mit dunklen brennenden Augen trat mir entgegen. Unter dem Arm hielt er ein flaches, in braunes Papier gewickeltes Paket. „Madame“, begrüßte er mich, „ich bin untröstlich über den Tod Ihres Gemahls. Eine Tragödie! Allerdings bin ich froh, Ihnen persönlich das Bild überreichen zu können, das ich in seinem Auftrag gemalt habe.“
„Ein Bild?“ Aufgeregt packte ich das Gemälde aus – und schaute in mein eigenes Gesicht.
Ich war derart schockiert, dass ich im ersten Moment keinen Laut über die Lippen brachte. Tatsächlich hatte ich bereits hin und wieder von den impressionistischen Malern gehört, doch noch nie hatte ich bewusst eines ihrer Werke gesehen. Nun war ich zutiefst beeindruckt davon, wie Renoir in einem Spiel von Licht und Farben mein Antlitz zum Leben erweckt hatte.
Mit weichen Knien ließ ich mich aufs Sofa sinken und fragte mich, wie er das Porträt hatte malen können, da ich ihm doch nie Modell gesessen hatte.
Natürlich hatte Renoir meine Verwirrung bemerkt. Doch offenbar deutete er sie falsch. „Das Bild gefällt Ihnen nicht?“
„Es ist wunderschön“, versicherte ich ihm.
Das schien ihn zu beruhigen. Und er sagte: „Lord Ashton hatte seine Reise nach Ägypten unterbrochen, um mich aufzusuchen und mir eine Fotografie von Ihnen zu übergeben. Er beauftragte mich, anhand dieses Fotos und mithilfe einer Beschreibung Ihrer Haar- und Augenfarbe, die er selbst mir lieferte, ein Porträt von Ihnen zu malen. Nun, da ich Sie kennengelernt habe, Madame, muss ich Lord Ashton nachträglich ein Lob für seine gute Beobachtungsgabe zollen.“
„Ich hatte keine Ahnung davon, dass er mich mit einem Gemälde von mir überraschen wollte“, murmelte ich. „Haben Sie meinen Mann gut gekannt, Monsieur Renoir?“
„Ich denke schon. Er gehörte zu den Menschen, die ein Bild am liebsten direkt vom Künstler kaufen. Und im Gegensatz zu vielen anderen wusste er die impressionistische Malerei zu schätzen. Er besaß einen offenen Geist, möchte ich behaupten. Wenn er Paris besuchte, dinierte er gelegentlich mit mir.“
„Das hat er mir nie erzählt.“ Noch immer verwirrt, betrachtete ich mein Abbild. „Hat Lord Ashton Sie bereits bezahlt?“
„Liebes Kind“, rief Renoir aus, „das ‚Porträt von Kallista‘ ist mein Hochzeitsgeschenk an Sie! Ich wünschte nur, Ihr Gemahl hätte es auch sehen können.“
„Vielen Dank, Monsieur. Sie sind ebenso liebenswürdig wie großzügig. Ich werde das Gemälde stets in Ehren halten.“
Ein paar Tage nach dieser Begegnung nahm ich eine Einladung zu Cécile du Lac an. Man hatte mir die Dame, die bedeutend älter war als ich, auf einer Dinnergesellschaft vorgestellt. Da sie mir gleich sympathisch gewesen war, freute ich mich auf das Treffen mit ihr. Also ließ ich mir von Meg, die laut darüber klagte, dass ich nicht zu einer netten englischen Lady zum Tee ginge, in eines meiner elegantesten grauen Kleider helfen.
Ich betrachte es als großen Glücksfall, stets in Häusern gelebt zu haben, die den Wohlstand und den guten Geschmack ihrer Besitzer widerspiegelten. Madame du Lacs Haus allerdings übertraf alles, was ich bisher kennengelernt hatte. Es verfügte über weitläufige Räume und war mit schönen Möbeln, wertvollen Teppichen und ausgewählten Kunstobjekten ausgestattet. Der Salon, in dem sie mich empfing, war ganz in Gold und
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