Todesacker
Haus ein großer Schuppen stand. Ein sehr großer Schuppen sogar, mit durchhängendem Dach. Von einem Ende des Schuppens führten Reifenspuren zu der Stelle, an der die Leiche gefunden worden war. Es handelte sich um alte Spuren, die bei aufgeweichtem Boden entstanden waren, doch die Rillen waren hart geworden und hatten bis zum jüngsten Regen überlebt. Der Schuppen war genau die Art von Gebäude, in dem außer Sichtweite der Öffentlichkeit alles Erdenkliche vor sich gehen konnte. Außer Hörweite, aus dem Sinn.
Der Regen wurde stärker. Das konnte sich als Problem erweisen.
Doch Fry korrigierte sich sofort selbst. Es gab keine Probleme, nur Herausforderungen. Keine Hürden, die nicht überwunden werden konnten.
Zumindest waren die Polizisten, die als Erste vor Ort eingetroffen waren, so geistesgegenwärtig gewesen, sofort ein Leichenzelt über das provisorische Grab zu stellen, als sie die Bedingungen sahen. Wenn sie nicht so schnell gehandelt hätten, wären inzwischen vermutlich sämtliche Beweise vom Regen fortgespült worden. Glücklicherweise hatten sie ein Leichenzelt im Kofferraum ihres Streifenwagens gehabt. Ansonsten hätten sie aller Wahrscheinlichkeit nach herumsitzen und warten müssen, bis eines gebracht worden wäre.
Der Herstellerwerbung zufolge ließen sich diese Zelte angeblich in zehn Sekunden aufstellen, doch sie hätte wetten können, dass es deutlich länger gedauert hatte. Die Heringe, die in den Ösen steckten, schienen nicht besonders fest im Boden verankert zu sein, und die Spannleinen waren schlammverschmiert.
»Lattenroste«, sagte irgendjemand in ein Funkgerät. »Wir brauchen Lattenroste. Jede Menge Lattenroste.«
Fry drehte sich wieder zu Murfin um. »Und wo ist der Bauarbeiter, der die Leiche gefunden hat?«
»Der wartet da drüben in dem Kleinbus. Er heißt Ward – Jamie Ward, zwanzig Jahre alt. Auf mich wirkt er nicht gerade wie ein typischer Bauarbeiter.«
Fry sah ihn an. »Und wie wirkt er dann auf dich, Gavin?«
Murfin klappte sein Notizbuch zu. »Verängstigt«, sagte er. »So wirkt er auf mich – wie ein verängstigtes Kind.«
Matt Cooper hatte einige Schafe in einen Anhänger eingeladen und saß schreibend in seinem Landrover, als sein Bruder eintraf. Ben sah einen Stapel Formulare auf einem Klemmbrett: einen rosafarbenen Vordruck für den Bestimmungsort, einen blauen für den Spediteur, einen gelben für den Versandort.
Matt öffnete die Autotür, und das übliche Stirnrunzeln, das Bürokratie bei ihm auslöste, verschwand aus seinem Gesicht.
»Hallo, kleiner Bruder. Wie ist es mit Amy gelaufen? Hatte sie Spaß?«
»Oh, ja. Sie war völlig fasziniert vom Rezept zur Konservierung einer abgetrennten Hand.«
»Das sieht ihr ähnlich. Sie hat in letzter Zeit seltsame Anwandlungen.«
Matt hatte abermals zugenommen. Er trug einen neuen Overall, der eine Nummer größer war als der letzte. Da er erst Mitte dreißig war, würde er in den kommenden Jahren vermutlich noch weiter an Gewicht zulegen.
»Was Amy sagt, klingt manchmal ziemlich erwachsen, findest du nicht?«, sagte Ben.
»Oh, ist dir das auch aufgefallen? Ja, das ist das Neueste. Ich glaube, das liegt an ihrem Umgang in der Schule – wahrscheinlich hat sie neue Freunde oder so.«
»Oder einen neuen Lehrer vielleicht, in den sie verknallt ist?«
»Verknallen sich Mädchen in ihre Lehrer?«
»Ja, ich glaube schon, Matt.«
»Ich meine … na ja, ich glaube, sie hat an dieser Schule hauptsächlich Lehrerinnen.«
»Trotzdem.«
Matt schwieg einen Augenblick lang. »Ich werde Kate bitten, sich mal mit ihr zu unterhalten«, sagte er.
Ben drehte sich um und betrachtete das Farmhaus, das ehemalige Heim der Familie, nachdem er sich dessen Gegenwart hinter ihm bewusst wurde. Jetzt, da er nicht mehr hier wohnte, fiel ihm auf, dass die Bridge End Farm ebenfalls in die Jahre gekommen war. Das Haus war seit einiger Zeit nicht mehr gestrichen worden, und er sah, dass das Dach der Scheune repariert werden musste. Vermutlich war heutzutage nicht mehr viel Geld für Reparaturen übrig.
»Das ist sicher nur eine Phase, die Amy gerade durchmacht, meinst du nicht?«, sagte er.
»Bist du sicher?«
»Es könnte viel schlimmer sein, Matt. Sie ist ein vernünftiges Mädchen.«
Matt legte seine Formulare beiseite. »Ben, warum weißt du eigentlich so viel mehr über pubertierende Mädchen als ich? Ich bin schließlich hier der Vater.«
»In meinem Job bekommt man so einiges zu sehen.«
»Das kann ich mir
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