Todesdämmerung
»Mama, schau! Er lebt!«
Christine sah, wie Chewbacca sich zur Seite rollte, sich vorsichtig erhob, sich schüttelte. Er hatte den Eindruck erweckt, tot zu sein. Jetzt war er nicht einmal benommen. Er richtete sich auf den Hinterpfoten auf, legte seinem jungen Herrchen die Vorderpfote auf die Schultern und begann Jo ey das Gesicht zu lecken.
Der Junge kicherte, zerzauste dem Hund das Fell. »Wie geht's denn, Chewbacca? Braver Hund. Braver alter Chewbacca.«
Chewbacca? fragte sich Christine. Oder Brandy?
Spiveys Leute hatten Brandy den Kopf abgeschnitten, und man hatte ihn mit allen Ehren auf einem hübschen Tierfriedhof in Anaheim begraben. Aber wenn sie jetzt zu dem Friedhof zurückfuhren und das Grab öffneten, was würden sie dann finden? Nichts? Eine leere hölzerne Kiste? War Brandy wiederbelebt worden und gerade rechtzeitig in dem Tierheim aufgetaucht, so daß Charlie und Joey ihn wieder adoptieren konnten? Unsinn, sagte sich Christine verärgert. Dummes Zeug.
Aber sie konnte diesen Gedanken nicht aus ihrem Kopf verdrängen, und sie führten zu anderen unvernünftigen Überlegungen.
Vor sieben Jahren... der Mann auf dem Schiff... Lucius Unter... Luke.
Wer war er wirklich gewesen? Was war er gewesen?
Nein, nein, nein. Unmöglich.
Sie drückte die Augen zu und preßte sich die Hand gegen die Stirn. Sie war so müde. Erschöpft. Sie hatte nicht die Kraft, gegen diese Spekulationen anzukämpfen. Sie fühlte sich von Spiveys Verrücktheit angesteckt, benommen, schwindelig, so wie vielleicht Malariaopfern zumute sein mußte.
Luke. Jahrelang hatte sie versucht, ihn zu vergessen; jetzt versuchte sie sich zu erinnern. Er war etwa dreißig gewesen, schlank, muskulös. Blondes Haar mit von der Sonne gebleichten Strähnchen. Klare blaue Augen. Gebräunt. Weiße, perfekt gleichmäßige Zähne. Ein einschmeichelndes Lächeln, gute Manieren. Er war eine charmante, aber nicht besonders originelle Mischung aus Kultiviertheit und Einfachheit gewesen, aus Welterfahrenheit und Unschuld. Ein Mann, der es verstand, von Frauen das zu bekommen, was er wollte. Sie hatte ihn für einen Surfer gehalten; so war er ihr erschienen, das perfekte Abbild des jungen kalifornischen Surfers.
Selbst in ihrem augenblicklichen Zustand, wo ihre Kraft durch ihre Wunde aufgezehrt und sie immer benommener wurde und obwohl ihre Erschöpfung und der Blutverlust sie Grace Spiveys wahnsinnigen Anklagen gegenüber aufgeschlossener gemacht hatten, konnte sie doch nicht glauben, daß Luke der Satan gewesen war. Der Teufel als Surfer verkleidet? Es war zu banal, um glaubwürdig zu sein. Wenn Satan wirklich existierte, wenn er einen Sohn wollte, wenn er wollte, daß sie jenen Sohn tragen sollte, warum war er dann nicht einfach in seiner wahren Gestalt nachts zu ihr gekommen? Sie hätte keinen Widerstand leisten können. Warum hätte er sie nicht einfach nehmen können, mit den Schwingen schlagend und mit peitschendem Schweif?
Luke hatte Bier getrunken und eine wahre Leidenschaft für Kartoffelchips gehabt. Er hatte uriniert und geduscht und sich die Zähne geputzt wie jedes andere menschliche Wesen. Manchmal war seine Konversation ausgesprochen langweilig, ja dumm gewesen. Wäre denn der Teufel nicht wenigstens witzig gewesen?
Nein, Luke war ganz sicherlich Luke gewesen; nichts mehr und nichts weniger.
Sie schlug die Augen auf.
Joey kicherte und drückte Chewbacca an sich, war glücklich. So normal.
Natürlich könnte der Teufel, dachte sie, sich ein perverses Vergnügen daraus machen, mich, ausgerechnet mich dazu zu benutzen, sein Kind zu tragen.
Schließlich war sie eine ehemalige Nonne. Ihr Bruder war Priester gewesen - und ein Märtyrer. Sie hatte ihren Glauben verleugnet. Sie war Jungfrau gewesen, als sie sich auf dem Schiff dem Mann hingegeben hatte. Hatte sie sich nicht perfekt dazu geeignet, dem Teufel die Möglichkeit zu liefern, die erste jungfräuliche Geburt zu verspotten?
Wahnsinn. Sie haßte sich selbst dafür, Zweifel an ihrem Kind zu haben, Spiveys Geschwätz auch nur andeutungsweise Glauben zu schenken.
Und doch... hatte nicht ihr ganzes Leben eine Wendung zum Besseren genommen, als sie schwanger geworden war? Sie war ungewöhnlich gesund gewesen und glücklich, im Geschäft erfolgreich. So als ob sie... gesegnet wäre.
Endlich zufrieden, daß es seinem Hund gutging, löste Joey sich von Chewbacca und kam zu Christine. Er rieb sich die roten Augen, schniefte und sagte: »Mama, ist es vorbei? Wird alles gut sein? Ich habe
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