Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Todesdämmerung

Todesdämmerung

Titel: Todesdämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
Vom Netzwerk:
Türkis, Malachit, Smaragde. Was sie trug, wirkte wie eine Uniform.
    Sie blinzelte Joey zu, grinste und sagte: »Du liebe Güte, bist du aber ein hübscher junger Mann.«
    Christine lächelte. Solche Komplimente von Fremden waren für Joey nichts Neues. Mit seinem dunklen Haar, den strahlenden blauen Augen und den gutgeschnittenen Zügen war er wirklich ein auffallend hübsches Kind.
    »Ja, wirklich, ein richtiger kleiner Filmstar«, sagte die alte Frau.
    »Danke«, sagte Joey und wurde rot.
    Christine sah sich die fremde Frau näher an und fühlte sich veranlaßt, ihren ersten Eindruck zu korrigieren, der >großmütterlich< gewesen war. Der zerdrückte Rock der alten Frau war mit Fusseln übersät. Sie hatte zwei Flecken auf der Bluse und Schuppen auf den Schultern. Ihre Strümpfe waren an den Knien ausgebeult, und am linken Bein hatte sie eine Laufmasche. Sie hielt eine verglimmende Zigarette in der Hand, und die Finger ihrer rechten Hand waren vorn Nikotin gelb. Sie gehörte zu den Leuten, von denen Kinder nie Schokolade oder Bonbons oder sonstige Lekkerbissen annehmen sollten — nicht weil sie der Typ war, der Kinder vergiftete oder belästigte, sondern weil sie die Art von Frau war, die eine schmutzige Küche hatte. Selbst bei näherem Hinsehen wirkte sie nicht gefährlich, nur ungepflegt.
    Jetzt beugte sie sich zu Joey hinunter, grinste ihn an, nahm Christine überhaupt nicht zur Kenntnis und sagte: »Wie heißt du denn, junger Mann? Kannst du mir deinen Namen sagen?«
    »Joey«, sagte er scheu.
    »Wie alt bist du, Joey?«
    »Sechs.«
    »Erst sechs und schon hübsch genug, um Frauen zum Schmachten zu bringen!«
    Joey wußte vor Verlegenheit nicht, wo er hinsehen sollte, und hatte offensichtlich keinen sehnlicheren Wunsch als zum Wagen zu rennen. Aber er blieb, wo er war, und benahm sich höflich, wie seine Mutter es ihm beigebracht hatte.
    Die alte Frau sagte: »Ich wette einen Dollar gegen einen Zuckerkringel, daß ich deinen Geburtstag kenne.«
    »Ich hab' keinen Zuckerkringel«, sagte Joey, der die Wette wörtlich nahm, und warnte sie damit feierlich, daß er nicht würde zahlen können, falls er verlor.
    »Ist das nicht reizend?« sagte die alte Frau zu ihm. »Wirklich wunderbar. Aber ich weiß es. Du bist am Heiligen Abend geboren.«
    »Nee«, sagte Joey. »Zweiter Februar.«
    »Zweiter Februar? Ach, komm schon, mach dich nicht über mich lustig«, sagte sie, Christine immer noch ignorierend, und grinste Joey breit an, drohte ihm scherzhaft mit dem nikotingelben Finger. »Ich weiß ganz sicher, daß du am vierundzwanzigsten Dezember geboren bist.«
    Christine begann sich zu fragen, worauf die alte Frau hinauswollte.
    »Mama, sag du es ihr«, sagte Joey. »Zweiter Februar. Muß sie mir jetzt einen Dollar geben?«
    »Nein, sie muß dir gar nichts geben, Honey«, sagte Christine. »Das war keine richtige Wette.«
    »Nun«, meinte er, »wenn ich verloren hätte, hätt' ich ihr sowieso keinen Zuckerkringel geben können, also ist's wahrscheinlich richtig, wenn sie mir auch keinen Dollar gibt.«
    Endlich hob die alte Frau den Kopf und sah Christine an.
    Christine setzte zu einem Lächeln an, hielt aber inne, als sie die Augen der Fremden sah. Sie waren hart, kalt und böse. Es waren weder die Augen einer Großmutter noch die einer harmlosen alten Schlampe. In den Augen war Kraft — und Hartnäckigkeit und Entschlossenheit. Die Frau lächelte auch nicht mehr.
    Was geht hier vor?
    Ehe Christine zum Reden ansetzen konnte, sagte die alte Frau: »Er ist doch am Heiligen Abend geboren, oder? Oder?« Das sagte sie so eindringlich, so gehetzt, daß sie Christine mit ihrem Speichel benetzte. Sie wartete auch gar nicht auf Antwort, sondern fuhr hastig fort: »Das mit dem zweiten Februar ist gelogen. Ihr wollt euch nur verstecken, alle beide. Aber ich kenne die Wahrheit. Ich kenne sie. Mich könnt ihr nicht täuschen. Mich nicht.«
    Plötzlich schien sie doch gefährlich.
    Christine legte Joey die Hand auf die Schulter und versuchte ihn um die Alte herum zu bugsieren, auf den Wagen zu.
    Aber die Frau machte einen Schritt zur Seite, versperrte ihnen den Weg, fuchtelte mit ihrer Zigarette herum, funkelte Joey an und sagte: »Ich weiß, wer du bist. Ich weiß, was du bist, alles weiß ich über dich, alles. Das kannst du ruhig glauben. Oh, ja, ja, ich weiß es, ja.«
    Eine Verrückte, dachte Christine, und ihr Magen verkrampfte sich. Herrgott. Ein verrücktes altes Weib. Eine von der Art, die zu allem fähig sind. Herrgott,

Weitere Kostenlose Bücher