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Todeseis

Todeseis

Titel: Todeseis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernward Schneider
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Laut, der über das Wasser trieb. Hunderte von Schwimmern riefen um Hilfe. Es waren weniger Rufe als Schreie, herzzerreißende Schreie, die sich bündelten und in einen gleichmäßigen, alles übertönenden Schrei übergingen. Raubold erschien es wie der Lärm von Tausenden von Zuschauern bei einem Baseballspiel, und bei dem Gedanken, all diese Menschen ihrem schrecklichen Schicksal überlassen zu müssen, krampfte sich sein Herz zusammen. Es gab immerhin Boote, die nicht voll besetzt gewesen waren, als sie von Deck der Titanic in die Tiefe gingen, und er hoffte, dass diese noch möglichst viele der verzweifelten Schwimmer aufnehmen würden. Sie selbst hatten keine Möglichkeit, etwas für die verzweifelten Schiffbrüchigen zu tun.
    Die Schreie entfernten sich schließlich und verstummten dann ganz. Mit dem Ersterben der Schreie wurde die Nacht seltsam friedvoll, und eine merkwürdige Stimmung kam über die Bootsinsassen. Eine Zeit lang dauerte die Stille an, dann begannen die Männer zu reden. Jemand von der Besatzung der Titanic, ein Koch namens Maynard, erzählte, dass Kapitän Smith neben dem Floß geschwommen habe, kurz bevor die Titanic unterging. Sie hätten ihn schon fast auf das Floß gezogen, als der Kapitän sich wieder ins Wasser habe fallen lassen, und zugleich habe er gerufen: »Ich folge dem Schiff!«
    Am meisten sprachen sie von ihren Aussichten nach Rettung. Lightoller hatte auf dem Boot den Funker Harold Bride entdeckt und fragte ihn, welche Schiffe auf dem Weg zu ihnen seien.
    »Die Baltic, die Olympic, die Carpathia!«, rief Bride zurück.
    »Von der Carpathia weiß ich auch«, sagte Lightoller, »sie muss uns bei Tagesanbruch erreicht haben.«
    Von diesem Augenblick an suchten die Männer auf dem Floß den Horizont nach Zeichen ab. Von Zeit zu Zeit wurden sie von grünen Leuchtkugeln aufgemuntert. Man war sich nicht sicher, ob diese von einem der anderen Boote abgefeuert wurden oder von einem anderen Schiff stammten.
    Langsam verstrich die Nacht. Die Kälte war furchtbar, aber die Zeit war unwirklich geworden und schien anderen Gesetzen zu gehorchen als denen, die sie kannten. Unter normalen Verhältnissen vermochte man sich nicht vorzustellen, eine solch furchtbare Situation wie die, in der sie sich befanden, überhaupt auszuhalten, geschweige denn zu überleben. Doch die meisten Männer hielten am Leben fest und ergaben sich den schrecklichen Widrigkeiten nicht.
    Noch vor Morgengrauen erhob sich eine leichte Brise, und die Luft wurde noch eisiger. Die See warf kurze, heftige Wellen. Eiskaltes Wasser klatschte über ihre Füße, ihre Schienbeine und ihre Knie. Der Gischt stach wie mit Dolchen in ihre Körper. Nicht alle Männer hielten dieser Pein stand. Ein Mann, dann ein zweiter, dann ein dritter rollte über das Heck und verschwand. Die anderen verstummten, mit letzter Kraft dem Wunsch folgend, am Leben zu bleiben.
    Auch die See schwieg. Niemand sah noch eine Spur des Lebens auf den Wogen, die den glatten Atlantik kräuselten, aber dann passierte das Allerseltsamste in dieser Nacht.
    »Das ist ja nicht zu glauben«, sagte Lightoller plötzlich. »Da kommt doch tatsächlich jemand angeschwommen!« Und gleich darauf: »Den kenne ich doch! Das ist der Bäcker Joughin! Wo kommen Sie denn her, Joughin?«
    »Bin schon eine Stunde unterwegs«, brummte Joughin, der ans Floß geschwommen war. »Der Whisky hat mich warm gehalten. Hab fast ne ganze Flasche intus. Noch ’n Plätzchen frei bei euch im Boot?«
    Es war kaum zu glauben, dass Joughin noch lebte, dachte Raubold, die Wassertemperatur musste sich mittlerweile unter dem Gefrierpunkt bewegen.
    »Wird schwierig reinzukommen, Joughin«, sagte Lightoller. »Ich glaube, wir werden kentern, wenn Sie sich hineinhieven, zumal Sie voll sind wie ’ne Haubitze.«
    »Keine Sorge, Chef, ich pass schon auf. Der Whisky wird mir helfen.«
    Das kalte Wasser schien ihm erstaunlich wenig auszumachen, offenbar besaß er eine Walfischhaut. Oder es war wirklich der Whisky, der ihn warm und am Leben hielt. Wie sonst hätte er mehr als eine Stunde in diesem Eiswasser überlebt! Eine Weile schwamm er in der Nähe des Bootes mit, dann rief er:
    »Maynard, du bist ja auch hier! Komm, gib mir die Hand und zieh mich raus aus der Brühe! Zusammen kriegen wir das hin!«
    Maynard streckte seine Hand aus, und Joughin hielt sich daran fest, Wasser tretend, aber immer noch völlig isoliert.
    Raubold fror entsetzlich. Es wurde kälter und kälter, und in der Stunde vor der

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