Todesfeuer
hat. Hier ist irgendetwas Hintersinniges im Spiel. Möglicherweise opferspezifisch. Dass er ihre Handtasche mitgenommen hat, deutet darauf hin, dass er es hauptsächlich auf sie abgesehen hatte. Dass er etwas von ihr behalten wollte.«
Milo umrundete den Turm einmal, ließ den Ausblick nach Westen auf sich einwirken, zündete seine Zigarre an und stieß einen blauen Schwall aus, der zwischen den Dachsparren emporkräuselte. »Eine heiße Nummer unter dem Sternenhimmel. Warum ausgerechnet hier?«
»Backer war Architekt, vielleicht hat er auf der Baustelle gearbeitet. Vielleicht hatte er einen Schlüssel und hat sie mitgenommen, um Eindruck zu schinden.«
»Ich habe den Taj Mahal entworfen, Baby, also besorg’s mir? Wenn ja, hatte Backer seit mindestens zwei Jahren nichts mehr mit dem Projekt zu tun, seitdem die Sache auf Eis gelegt wurde. Und er hat gar keinen Schlüssel gebraucht. Die Kette ist so lang, dass man das Tor weit genug aufgestemmt kriegt. Diese Info stammt von dem Miet-Cop, der die Leichen entdeckt hat. Seiner Aussage nach hat er es seinen Bossen gemeldet, aber die haben ihn abblitzen lassen. Dazu würde auch passen, dass die Sicherheitsvorkehrungen ein Witz sind: ein Typ, von sieben bis zehn Uhr morgens, am Wochenende gar nichts, und die tödlichste Waffe, die sie ihm mitgeben, ist eine Taschenlampe.«
»Warum wurden die Bauarbeiten eingestellt?«
»Das hat der Wachmann auch gefragt, worauf man ihm erklärt hat, dass er sich um seinen eigenen Kram kümmern solle.«
»Eine aufgelassene Baustelle würde Backer zupasskommen, wenn er hier einen draufmachen will. Mit dieser Frau oder anderen. Angesichts der Diskrepanz hinsichtlich der Kleidungskosten bei ihm und ihr würde ich als Erstes tippen, dass sie eine der schlechter bezahlten Angestellten in seiner Firma war.«
»Eine Büroromanze mit der Empfangsdame, die leider eine besitzergreifende bessere Hälfte hat? Noch was: Dieser Wachmann sagt, dass er noch nie Hinweise auf andere Techtelmechtel gefunden hat, seit er hier arbeitet.«
»Wir reden von dem nervös wirkenden dünnen Kerl mit dem Hinkebein.«
»Doyle Bryczinski. Hat sich bei uns beworben, wurde dann in einen schweren Verkehrsunfall verwickelt und hat sich dabei das Bein ruiniert.«
»Hat Milo einen neuen Freund?«, sagte ich. »Was ist seine Leibspeise?«
»Missgönnst du mir einen hilfsbereiten Bürger?«
»Gott bewahre.«
»Ist dir Bryczinski nervös vorgekommen?«
»Als ich vorgefahren bin, hat er mich beobachtet. Als ich auf Blickkontakt ging, hat er so getan, als hätte er mich nicht beobachtet. Außerdem sollte ich dich meines Erachtens darauf hinweisen, dass du Bryczinski gerade als einen Möchtegernpolizisten dargestellt hast, der extrem frustriert klingt, weil er sein Leben nicht im Griff hat. Was ist, wenn so ein Typ von seiner Freundin wegen jemandem, der schnuckeliger, gewiefter und reicher ist, abserviert wird? Genau an der Stelle, zu der er sie persönlich mitgenommen hat?«
»Der Typ will uns helfen, und mit einem Mal ist er ein Hauptverdächtiger?«
»Wie es so schön heißt«, sagte ich, »verdächtige immer erst deinen Nächsten.«
Milo warf einen langen, säuerlichen Blick auf die Leichen und ging dann zu der wackligen Wendeltreppe. »Sehen wir zu, dass wir den ollen Doyle ein bisschen besser kennen lernen.«
3
»O Mann, die sehen ja noch… schlimmer aus«, sagte Doyle Bryczinski.
»Schlimmer, als Sie sie gefunden haben?«, sagte Milo. Bryczinski wandte sich ab. »Jetzt sehen sie mehr wie… Menschen aus.«
»Und weniger wie…«
»Ich weiß nicht, es war irgendwie… unwirklich. Als ich sie gefunden habe, mein ich.«
»Ein höllischer Tagesbeginn, Doyle.«
»Mein Tag fängt um halb fünf an«, sagte Bryczinski. »Bis die Pflegerin kommt, kümmere ich mich um meine Mutter, dann muss ich schnurstracks hierherfahren.« Er schüttelte den Kopf. »Dann finde ich das vor.«
»Ist Ihre Mutter krank?«
»Sie hat alle möglichen Krankheiten. Hat früher bei meinem Bruder gewohnt, bis er nach Nome gezogen ist. Das ist in Alaska.«
Er leckte sich die Lippen. Ein kleiner, zerbrechlich wirkender Mann, nervös wie ein Kaninchen. Ohne eine Schusswaffe hatte er Mühe, irgendetwas in den Griff zu kriegen.
Bevor er ihn hierherkommen ließ, hatte Milo ein paar Hintergrundrecherchen angestellt. Bryczinski hatte mehrere noch nicht bezahlte Strafzettel angehäuft. An dem Verkehrsunfall, der ihn zum Krüppel gemacht hatte, war nur ein Auto beteiligt, was
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