Todesformel
benutzte die Terrasse, zumindest solange er noch so klein ist, zumindest bei diesem kalten Regenwetter. Doch er lässt sich mit nichts dazu bringen. Dann heißt es eben, in Eile mit bloßen Füßen in die sich kalt anfühlenden Winterstiefel, Mantel über den Pyjama, Schirmmütze auf und die Locken rundum hineinstecken, da sie sich andernfalls anschließend im Bett so klamm anfühlen, die Leine packen – wo sind die Hundesäckchen –, Moshe zur Sicherheit hochheben, damit er es nicht im Treppenhaus tut, denn junge Hunde pinkeln nur in der Hocke, und schon trample ich mit diesem von Tag zu Tag immer schwereren Bordeaux-Welpen auf dem Arm die Treppe hinunter und durch den Vorgarten. Andererseits passt sich Moshe mehr oder weniger problemlos in unser Leben ein. Sein neuer Flechtkorb ist mit einem Hundekissen und mit meinem rot-schwarzen ausgelatschten Pullover gepolstert und steht nun tagsüber in meinem Büro unter meinem Pult. Moshe liebt es, am Pullover-Etikett lutschend zu schlafen.
Sie müssen durch die Hintertür hereingekommen sein: Als ich um vier Uhr schläfrig mit dem noch immer süßlich nach Baby duftenden Moshe im Arm ins Treppenhaus trete und mit dem einen Ellenbogen den Lichtschalter drücke, geht das Licht einfach nicht an. Moshe versucht sich zusammenzurollen, reckt sich, sodass ich ihn nur mit Mühe zu halten vermag. Ich meine, ein Geräusch zu hören, von unten, mein Steppmantel raschelt, ich stehe ganz still, lausche. Ich rufe ins Dunkle: »Frau Kockels, sind Sie das?« – Keine Antwort. Das ist ja seltsam. Jetzt bin ich mir sicher, da ist jemand. Rasch trete ich einen Schritt vor, wieder mein Rascheln, spähe über das Treppengeländer. In der Dunkelheit ist kaum etwas zu sehen, schräg unten das matt schimmernde Viereck der verglasten Hintertür. Doch dort, ganz deutlich ein dunkler Schatten, eine sich in die Ecke des Ausgangs drückende Gestalt. Das Geräusch hingegen ist aus dem Hausinnern gekommen, aus der Kanzlei oder vom Keller. Schon bin ich zurück in der Wohnung, schließe mit dem Schlüssel, schiebe den Riegel, stelle Moshe zu Boden, sein Pipi ist jetzt zweitrangig. Nun erlischt auch im Korridor und im Bad das Licht. Die ganze Wohnung liegt im Dunkel, jemand muss in diesem Moment den Strom ausgeschaltet haben. Irgendwo hier im schwarzen Korridor Moshes Winseln. Noël schläft in seinem Zimmer. Die Wohnungstür ist stark, Sperrverriegelung und zwei zusätzliche Extrariegel. Ich habe Knut verspottet, wie er mir diese Vorsichtsmaßnahmen aufgedrängt hat, Polizisten leiden unter Verfolgungswahn. Jetzt bin ich ihm dankbar dafür. Ich schlüpfe aus dem Mantel und lasse ihn fallen, taste mich an der einen Wand in mein Schlafzimmer vor, immer gewärtig, mindestens über Moshe zu stolpern. Hier in der Schublade die Taschenlampe. Ich eile durch alle Zimmer, schließe die Fenster, lasse die Sicherheitsriegel einschnappen, lasse an der Terrassentür den Rollladen herunter. Rasch das Telefon, den Polizeinotruf. Das Telefon ist tot. Mein Mund ist ganz trocken, die Innenflächen der Hände fühlen sich feucht an. Nein, natürlich weine ich nicht. Das Handy muss in der Tasche beim Notebook stecken. Die Tasche nehme ich nachts immer mit nach oben. Mit der Taschenlampe ist sie zu finden. Die Polizei meldet sich: Name, Adresse.
»Jemand ist im Haus und hat im Keller das Elektrische ausgeschaltet, das Telefon unterbrochen. Noch jemand steht vor der Hintertür. Ich bin hier allein mit einem Achtjährigen, oben wohnt eine Frau. Das Parterregeschoss ist meine Kanzlei, Anwaltskanzlei Dr. jur. Jennifer D. Bach.«
Sie schicken die nächste Streife. Ich soll den Kopf nicht verlieren, die Wohnungstür verriegeln.
In meiner Tasche steckt auch der Pfefferspray. Besser ist der Baseballschläger, ein Hochzeitsgeschenk, das die Scheidung überdauert hat. Hier herein kommt mir keiner.
Auf Strümpfen und noch immer im sehr unbequem in die rote, weite Fitnessschlabberhose gestopften Nachtshirt eile ich wieder durch den Korridor. Moshe steht im Kegel meiner Taschenlampe geduldig da, wo ich ihn auf den Boden gestellt habe. Ich schiebe ihn in seinen Korb, schleiche mich in Noëls Zimmer, bin froh, über nichts zu stolpern, decke Noël bis ans schmale Kinn mit seiner Decke zu. Dann spähe ich vorsichtig zum Küchenfenster hinaus in den Hinterhof des gegenüberliegenden Mehrfamilienhauses. Worauf warte ich? Die sind doch längst weg. Doch da, Intuition: Vom Haus weg huschen einer, zwei, drei Schatten. Drei Männer
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