Todesformel
geeignet. Das Kuvert glitt hinein, würde sich nur mit einem Schraubenzieher wieder herausangeln lassen.
Bei den gestapelten Gegenständen schimmerte im Licht der Taschenlampe die alte Puddingform – Karamellpudding mit geschlagenem Rahm, das Richtige f ür Kaffee und Kuchen am Ostersonntag.
Alja legte das betriebsbereite Handy auf den Nachttisch, Nummer eins war Knut. Er war ein wirklicher Freund, er wohnte nah, und was im Moment das Beste war an ihm: Er arbeitete bei der Polizei.
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ICH, JENNIFER BACH
AUS ALJAS GARTEN: Es ist wichtig, die immergr ünen Str äucher wie Buchs, Eibe oder Kirschlorbeer zu kompakten Formen zu schneiden, immer wieder – wachsen lassen und abrunden, abgrenzen. Der Wind vermag die dichten Bü sche nicht so stark zu zausen, die Vö gel finden einen sicheren Unterschlupf. Gartenv ö gel lassen sich auch gern in der Stadt nieder, wenn sie im Winter genügend dichte, belaubte Bü sche vorfinden. Wir alle warten auf den Fr ühling, der sich in diesem Jahr besonders lange Zeit lä sst: andauernd kaltes West- oder Nordwestwindwetter mit Regen, Graupelschauern und Schnee, der kurz liegen bleibt. Wir warten noch immer auf die ersten M ärzbecher und Winterlinge.
Aljas Gartenkolumnen erscheinen im ›Lifestyle‹ der Samstagszeitung. Schon bevor Alja und ich uns befreundeten, habe ich sie jedes Mal gelesen – Heimat. Wenn sie mir besonders nahegehen, schneide ich sie aus, klebe sie in das gelbe Heft, das ich mir einzig zu diesem Zweck gekauft habe. Ich liebe Vögel und ich träume davon, irgendeinmal einen eigenen Garten zu haben mit Büschen und Spalieren, in denen Vögel nisten können, einen Garten für mich und meinen achtjährigen Noël. Ich liebe diesen Traum. Er ist wie ein Einatmen zwischen den täglichen Pflichten, dass ich bewusst hin und wieder an etwas anderes denke als an Noëls schlechten Schlaf, den Wocheneinkauf oder die Prozesse meiner Klienten – Kind, Küche, Karriere. Aljas Kolumnen bringen dieses leise Lachen in mein Leben – wissen, gewusst, bewusst, selbstbewusst. Mit Alja kann ich auch von Noëls immer wieder hartnäckigem Husten reden. In meinem jetzigen Umfeld in der Stadt gelte ich damit als nicht mehr ernst zu nehmen: geschieden und, weil kein Gesprächspartner da ist, immer von ihrem Kind quasselnd, in ewiger Fürsorge um dieses Kind. Ich will als Anwältin ernst genommen werden.
Ich bin ein wacher Mensch, einer, der sich selbst nichts vormacht. Also stelle ich fest, dass ich mich meist dann nach Natur sehne, wenn ich mich mies fühle oder überfordert. Meistens klappt es und ich lache.
In diesen Wochen vor Ostern kommt der Druck wieder einmal von allen Seiten, ich halte es gerade noch aus. Am Samstag vor Palmsonntag ist Noël schon wieder bei Benno, der zeitlich doch immer im Rückstand ist, sein Sorgerecht auszuüben; ich flüchte zu Alja. Wir färben Ostereier, was mir guttut. Wir bringen Moshe an die frische Luft und machen einen Spaziergang über die Krete, teilweise folgen wir dem Europawanderweg, ganz oben über den Berg. Es ist etwas leichtsinnig, Moshe von der Leine zu lassen. Prompt läuft er weg, stöbert einen Kaninchenbau auf.
Die Einbrecher kommen zwei Tage später, in der Karwoche in der Nacht von Montag auf Dienstag.
Es ist einer jener seltsamen Zufälle. Hätte Knut diesen knuddeligen Welpen, den wir als kleinen Findling Moshe nennen, nicht vor vier Wochen bei uns untergebracht und wollte ich diesen kleinen Pinkler nicht um vier Uhr nachts Gassi führen, niemand hätte bemerkt, dass Einbrecher im Haus waren. Sie hätten ihre Arbeit ungehindert verrichtet, womöglich wüsste ich heute noch nicht, dass sie hier waren. Das wäre vielleicht nicht einmal schlimm, zumindest müsste ich mich jetzt nicht sorgen.
Die Wohnung, in der Noël und ich seit meiner Scheidung vor zwei Jahren wohnen, liegt über meiner Kanzlei in diesem geräumigen Stadthaus, einem Altbau. Wie windig und nass die Terrasse ist, fällt erst so richtig auf, wenn Noël oder ich oder wir beide zusammen Moshe aus dem Wohnzimmer auf diese Terrasse befördern in der Hoffnung, Moshe könnte hier sein Pipi machen. Da lässt sich dann hinuntergucken auf den kahlen Zugang zum Haus, die immer noch kahlen Platanen unserer Straße. Vorher wäre mir nie im Traum eingefallen, einzelne Anwohner beim Autoparken und bei ihrem Kommen und Gehen zu beobachten – wobei es hier nicht allzu viel zu sehen gibt, wir leben in einem bevorzugten Wohnquartier. Es wäre überaus praktisch, Moshe
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